lieber Thomas
Zuerst war ich völlig entzückt von Deinem Gedicht. Ich habe diesen Blick sofort gesehen, sowohl in den Augen von Frauen und auch bei Männern.
Mit den letzten beiden Zeilen kippt bei mir aber ganz abrupt die liebliche Stimmung die Du vorher so geschickt erzeugt hast.
Ich frage mich nun selbst wie es alleine durch den "Priester und seine Träume" geschehen konnte.

herzlichst Ilona

Lieber Thomas,
du bist ein Fuchs! Wie schön du die spontane erotische Verwirrtheit in stolpernder Metrik zum Ausdruck bringst. Auch ich stolperte, stellvertretend beim Lesen (..und sitze grade in einem Strassen-Cafe, was es eindeutig noch leichter macht dir zu folgen).
Tja, und manchmal bedarf es des Beispiels der Würdenträger, um den Rhythmus wieder zu finden.
Sehr schön!
viele Grüße
der Sanderling

Lieber Thomas,

hier wird einer verführt, ja, verhext aus seiner Sicht. Schuld sind immer die lieblichen Blicke, die Haare, die Anmut...Man kann nur hoffen, dass es bei dem Träumen bleibt und nicht zu Übergriffen kommt!

Sehr schön hast du das eingefangen, was da so bei heiligen Männern abläuft, die eben auch nur Männer sind
und die Interpretation als himmlisches Versprechen lässt das wundervoll in der Schwebe...

Liebe Grüße aus Samothraki, wo der schwule Pastor, traut man seinen Blicken, öfter in Gedanken mit schönen Knaben fremd geht
Karlheinz

Lieber Thomas,

ich schließe mich meinen Vorredner*innen an, einzig ab der Stelle ... und weiß mit Geschick... hat mich sehr irritiert, dass die verführerische Note ganz und gar dem lyrischen Ich zugeschrieben und somit dieses unsägliche Männerargument „ ist sie doch selbst schuld, wenn sie so einen kurzen Rock trägt“ bedient wird.

Liebe Grüße

anna a., die Rebellin!

Lieber Thomas,

Ich habe jetzt einfach nur mal das Personal- Pronomen geändert und schon liest sich das Gedicht ganz anders.
Was mich doch noch sehr irritiert ist das Wort Kind in der letzten Zeile, denn mit dem Wort Kind verbinde ich Begriffe wie Unschuld oder Absichtslosigkeit.

Liebe Grüße

anna a.


Er hat mich verhext mit dem schalkhaften Blick,
der heimlich den Himmel verspricht.
Er streicht durch die Haare und weiß mit Geschick
sich so zu bewegen, dass nicht
der Eindruck entsteht, es läge an ihm,
wenn alle bezaubert sind.
Der Priester durchblättert sein frommes Brevier
und träumt von dem lieblichen Kind.

Lieber Thomas,

einen Priester in der derzeitigen Disskussion um Machtmissbrauchsituation in der kath. Kirche mit einem Gedicht zu aufzuzeigen, hat auf mich ziemlich irritierend gewirkt.
Im Übrigen beschränkt sich Missbrauch ja nicht nur auf Mädchen, Jungen sind genauso betroffen und denen wirft man ja eigentlich nicht vor, sie wollten den Priester berzircen.
Missbrauch geschieht auch nicht, weil sich Kinder aufreizend verhalten, sondern genau das Gegenteil ist der Fall, schüchterne und wenig selbstbewußte Kinder sind die Opfer, weil diese leichter zu manipulieren sind. So sind wir auch beim Thema angekommen: Missbrauch ist Gewalt- und Machtausübung, auf Grund eines schwachen Egos und hoher Manipulationsfähigkeit. Gleichzeitig wird dem Kind suggeriert, dass es ja, aus was für einem Grund auch immer, selbst Schuld ist und wird verstrickt. Dies geschieht vor allem in stark hirachischen Strukturen und viele entsprechende Kandidaten ergreifen auch entsprechende Berufe, die ihnen Macht verleihen..
Im Übrigen gehört es zum Erwachsenwerden dazu, sich in seiner Wirkung selbst auszuprobieren.
Also ehrlich, ich finde das Gedicht echt daneben.
Liebe Grüße, Heidi

Liebe Heidi,

ich glaube, es ist die sexualisierte Männerphantasie gepaart mit der Unschuld eines Kindes, das angeblich sich seiner aufreizenden Wirkung bewusst ist, was mich ebenfalls so irritiert. Ich denke die ganze Zeit darüber nach, wie man daraus ein bitterböses, zynisches Gedicht machen könnte ohne eben diese o. g. Phantasie derart zu verharmlosen, was mit Sicherheit nicht Thomas Intention gewesen sein kann.

Liebe Grüße

anna a.

Liebe Anna,
nun ja, man könnte ein Gedicht schreiben in dem der Priester so lange träumt, bis der Traum sich in einer Art Selbsterhöhung, in Handlungen realisiert.
Kapieren wird er trotzdem nichts, denn er wird sich berufen fühlen, zu was? Nein ich will mich nicht in diese perverse Gedankenwelt verstricken.
300 Priester sind jetzt in den USA identifiziert worden und keine Ahnung wie viele Kinder sie lebenslang geschädigt haben. Ehrlich, wenn ich die Konsequenzen für die Kinder und die Vertuschungspraxis der Kirche überdenke wird mir übel. Scheinbar eignet sich der Job ganz gut für die Art von Verbrechen. Aber natürlich nicht nur die Priester, aber die sind nunmal Thema. Als Sozialarbeiterin habe ich eine Menge Opfer kennengelernt, auch von einem Priester und zuhause ist ihr nicht gelaubt worden, weil es ja ein "heiliger Mann" war. Übel, was die Typen sich erst als Druckmittel und später als Rechtfertigung zusammen bauen. Ich bin froh, dass ich jetzt nicht mehr mit sowas konfrontiert werde, nun ja....!
Lieben Gruß, Heidi

Ihr Lieben
ich kann nur anna und Heidi zustimmen

Zitat

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es ist die sexualisierte Männerphantasie gepaart mit der Unschuld eines Kindes, das angeblich sich seiner aufreizenden Wirkung bewusst ist, was mich ebenfalls so irritiert.

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auch mich lässt das Gedicht nicht wirklich los. Ich bin aber genau wie anna überzeugt, Thomas hat beim Schreiben die Verknüpfung zwischen dem ersten Teil und der Macht, dem Machtmissbrauch und der Gewalt an Kinder nicht bemerkt.
lieber Thomas,

Zitat

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Ich hoffe jedoch, es wird deutlich, dass im Gedicht der fromme Priester nur "träumt". Aber auch er wird halt verhext,

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sorry, kein Mann, kein Priester wird "halt verhext". Wenn er dem Mädchen, der Frau, dem Knaben die Schuld für seine Gedankenwelt und oft genug für seine Handungswelt gibt, dann ist der erste Schritt in die falsche Richtung gelegt. Wenn ich sage, der Knabe hat mich mit seinen Blicken verführt, dann bin ich unschuldig? Dann darf ich was der Andere nicht will? NEIN STOP
So geht es eben nicht und ich glaube da müssen wir klar zu stehen.
herzlichst Ilona

So denke ich auch, liebe Ilona,

Zitat Ilona:
Sorry, kein Mann, kein Priester wird "halt verhext". Wenn er dem Mädchen, der Frau, dem Knaben die Schuld für seine Gedankenwelt und oft genug für seine Handungswelt gibt, dann ist der erste Schritt in die falsche Richtung gelegt. Wenn ich sage, der Knabe hat mich mit seinen Blicken verführt, dann bin ich unschuldig? Dann darf ich was der Andere nicht will? NEIN STOP
So geht es eben nicht und ich glaube da müssen wir klar zu stehen. Zitat Ende.

Verhext sein ist blanker Unsinn und eine Abspaltung eigener uneingestandener Wünsche und Gedanken.
Natürlich gibt es Menschen die auf Kinder fixiert sind, aber gerade sie müssen sich ihrer besonderen Verantwortung bewußt sein, was sie anrichten können. Dazu brauch es einer Auseinandersetzung mit ihrer Prägung und dazu gehört nicht, sich mit Gedanken an ein Kind in Tagträumen zu verlieren.
Das ist mit Sicherheit der falsche Weg und führt früher oder später zur Handlung.
Lieben Gruß, Heidi

Liebe Ilona, liebe Heidi,

Ich gebe euch in jedem Punkte recht! Was hier in dem Gedicht, glaube ich, passiert ist, ist die Verharmlosung einer Phantasie eines Übergriffes. Und genau das darf niemals sein, die Verharmlosung! Wenn , dann muss das Grauen als solches angeprangert werden. Missbrauch findet täglich statt und darf deshalb auch in der Lyrik nicht ausgeklammert werden, denn dadurch verschwindet er leider auch nicht..

Ergriffene Grüße

anna a.

Ihr Lieben,

die Verantwortung liegt erst einmal bei dem, der andere ausnutzt, die ihm nicht auf Augenhöhe begegnen oder begegnen können! Das ist ein Sachverhalt erst einmal unabhängig vom Verhalten des Opfers.
Andererseits sind natürlich auch Kinder im Übergangsalter, und da meine ich sowohl Jungen, als auch Mädchen,
nicht völlig unbeteiligt, bzw. schuldlos, sondern auch berechnend und herausfordernd. Ansatzweise wissen sie schon, was sie tun! Die Verantwortung liegt aber trotzdem unbedingt beim Erwachsenen, er ist voll verantwortlich und kann sich keinesfalls herausreden. Alles andere ist Heuchelei und ein billiger Versuch, sich selbst als Opfer der Umstände zu stilisieren. Das gilt für alle Erwachsenen und erst recht für Funktionsträger, denen Schwächere und Hilflose anvertraut sind!

Die Versuchung eines potentiellen Täters, den niederen Impulsen einfach zu folgen und die Schuld auf die Opfer abzuwälzen, hat hier m. E. Thomas versucht, darzustellen. Und sein Priester erliegt offensichtlich nicht ganz dieser Versuchung, sondern belässt es beim Träumen.

Liebe Grüße aus Samothraki
Karlheinz

Hallo in die Runde,
in Zeiten der Offenlegung tausendfachen Missbrauchs durch Geistliche, wo auch immer in der Welt, Gedichte zum Thema erotische Anziehung zu schreiben, in denen auch ein Geistlicher vorkommt, wie das von Thomas, erachte ich erst einmal als den literarischen Umgang mit einem Thema. Und zu jeden Thema darf und kann Literatur schreiben.

Die kath. Kirche glaubt an den Teufel, sie treibt ihn ja gelegentlich immer noch mal spektakulär aus, wenn auch meist heimlich.

Das Gedicht ist eine Fiktion, wenn wir es bei dem belassen was das Gedicht vielleicht wollte. Im "lieblichen Kind" sah/las ich übrigens kein Kind, sondern eine Frau. Der Begriff des lieblichen Kindes, im Zusammenhang mit einem Geistlichen, bekommt für mich außerdem eine Doppeldeutigkeit.
Hiermit könnte auch das Jesukind gemeint sein, was die Verwerflichkeit aller Gedanken zu Erwachsenen Sexualität mit Kindern, noch einmal unterstreicht.

Ich fände gut wir würden dem Gedicht seine Mehrdeutigkeit zugestehen. Eine Aufforderung/Duldung/Rechtfertigung zum Missbrauch ist es für mich in keiner Weise.

herzliche Grüße

der Sanderling

Lieber Sanderling,

Ich glaube, keiner von uns hat das Gedicht als Aufforderung zum Missbrauch verstanden. Das Gedicht zeigt für mich wieder einmal, auf welchem schmalem Grad wir als Schreibende balancieren. Ich wollte nur klar zum Ausdruck bringen, dass eine mögliche Lesart des Gedichtes angesichts neuer aktueller Enthüllungen in der katholischen Kirche die Verharmlosung eines Missbrauches sein könnte. Thomas hat das mit Sicherheit nicht so ausdrücken wollen, aber wenn nur einer es so versteht, dann ist es eine mögliche Lesart, mit der wir uns als Lyriker*innen auseinandersetzen sollten und dürfen. So finde ich es zum Beispiel interessant zu schauen, welche Worte oder Satzfragmente zu dieser Sichtweise führen könnten.

Und so schärfen wir weiter und weiter unsere Achtsamkeit bezüglich der Kraft von Sprache!

Seid alle herzlich gegrüßt von

anna a.

Ihr Lieben,

anna hat recht: Wir sollten uns der Kraft von Sprache bewusst sein! Aber, wir sollten uns auch vor der Schere im Kopf in acht nehmen. Kreativität sollte nicht beschnitten werden, auch auf die Gefahr hin, mal einen Missgriff zu tun, das ist Sprachkünstlerrisiko!

Liebe Grüße aus Samothraki
Karlheinz

Lieber Karlheinz,
Ich gebe Dir Recht, Kreativität soll nicht beschnitten werden und doch gibt es Grenzen. Wir geben hier auch keine echten Rezepturen für Giftmischerei bekannt, oder Bomben bauen und Ähnliches, denn wir haben auch die Verantwortung für das was wir schreiben.
Verniedlichung von Missbrauch, oder Impulsgebung dazu, gehört für mich auch in den Bereich.
Und richtig, Kinder probieren ihre Wirkungen aus. Das gehört zur normalen Entwicklung für das spätere Leben und ist keinesfalls zum Zweck Erwachsene wirklich anzumachen. Kinder brauchen unseren absoluten Schutz vor Übergriffen.
Gute Nacht an alle,
Heidi

Lieber Thomas,

das was du durch die Umstellung anstrebst funktioniert nicht ganz. Zwar wäre dieser Spagat zum Jesuskind möglich, aber auch wenn Sanderling das so lesen kann, durch das von dir gebrauchte durchgängig weibliche Personalpronomen (bis auf die letzten beiden Auflösenden Verse) ist das nicht die offensichtliche Verbindung.

Vielleicht ist es sehr schwer den ersten Eindruck nachzuvollziehen, wenn man sich zu intensiv und eingehend mit den Nuancen während des Schreibvorgangs beschäftigt hat. Die ersten Verse knistern glaube ich zu sehr von romantischen Andeutungen, als dass man es einfach auf die Bewunderung für Gottes Sohn umlegen kann. Also ich habe da ein ein völlig anderes Bild im Kopf.

Als Autor bist du einfach zu nah dran glaube ich, einen Schritt zurück und nochmals die entstehenden Gefühle überdenken, dann wird der Spagat einfach zu weit, aber es gibt ja außergewöhnlich biegsame Woertatlethen.

Liebe Grüße

Derolli

Lieber Thomas,

Das zeigt doch einfach deutlich, wie verschieden die Lesarten von Gedichten sein können und dass sie zumindest in meinen Augen auch alle ihre Berechtigung haben. Beim Lesen von Worten gibt es für mich kein richtig oder falsch - das macht es ja so spannend!

Liebe Grüße

anna a.

Ihr Lieben,
welch schöne und treffende Erkenntnis ihr beiden gezogen habt.
viele Grüße!
der Sanderling