Schildkröte erwacht
überall liegt noch der Schnee
Frühjahrsputz steht an

lieber Thomas
meine Schildkröte ist im Keller und hält Winterschlaf, in einer Kiste.
Nun sie ist eine Landschildkröte und braucht hier den Winterschlaf. In unseren Klimazonen brauchen glaube ich alle Schildkröten den Winterschlaf.

Nun noch etwas allgemeines zum Haiku
Eines meiner persönlichen Lieblingshaiku stammt von Issa, ich stelle es mal voran:

"Er hat den hohen Herrn
vom Pferde steigen lassen,
der Kirschblütenzweig"

Was ist also ein Haiku:
Kurz gesagt: Die wohl kürzeste Form einer Naturbeschreibung mit Tiefgang. Erfunden wurde diese Lyrikform im fernen Japan, wo sie sich aus dem allein gestellten Oberstollen des Tanka zur eigenständigen Gattung entwickelte. Klassisch ist ein einzigartiger Naturmoment zu beschreiben, ohne dabei Metaphern zu verwenden. Vereinfacht gesagt: Beschreibe, was Du gerade siehst.

Der beschriebene Vorgang erscheint fast banal, steht dem Leser jedoch lebhaft vor dem geistigen Auge. Ohne Probleme erkennt er die Jahreszeit, den Frühling zur Zeit der Kirschblüte. In Japan wird diese mit dem Hanami (= Kirschblütenfest) feierlich begangen. Und der Protagonist ist nicht etwas der hohe Herr, sondern der "kleine" Kirschblütenzweig. Und wie der absteigende Reiter hält der Leser inne, versenkt sich in den Anblick der Natur (= das meditative Zen-Element im Haiku) ... und vermag vielleicht zu erkennen, was der ehrenwerte Katsumoto San in "Last Samurai" erst in seinem Todesmoment ausspricht: "Vollkommen, sie sind alle vollkommen ..."

Der Purist hält sich an den überlieferten Aufbau eines Dreizeilers mit der Silbenfolge 5-7-5. Mittlerweile jedoch gibt es viele Verfechter des sogenannten Freestyle, bei dem zunächst die Einhaltung des Silbenschemas, später auch die des Dreizeilers aufgehoben wurde. Des weiteren wird heutzutage der Naturbegriff deutlich weiter gefasst. Auch Dinge wie das kigo, das Jahreszeitenwort, müssen nicht mehr zwingend auftauchen.

lG Ilona

Ihr lieben beiden,

ich kenne nur Schildkröte, die im Gemüsefach des Kühlschrankes überwintern, von daher war mir Ilonas Haiku sehr nah.

Vielen Dank, liebe Ostseemöwe, für die ausführlichen Erläuterungen. Ich will jetzt auch nochmal daraufhin ein Haiku hier probieren.

Sternschnuppenregen
im Sommer, Fliegenpilze
in Gruppen am Baum


Nein , das hört sich komisch an für mich ... Ist bestimmt wieder nicht richtig, ich freue mich auf eure Rückmeldung ...

Liebe Grüße

Anna

liebe Anna
vielen Dank für Deinen Kommentar.
Ich sag mal was zu
Sternschnuppenregen
im Sommer, Fliegenpilze
in Gruppen am Baum
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Sternschnuppenregen - ein schönes Bild (im Sommer würde ich nicht brauchen) ich denke bei Sternschnuppenregen zuerst an eine warme Augustnacht. Fliegenpilze und Pilze im allgemeinen sind erst später dran, Ende September.
Mir und Dir wird sicher noch was besseres einfallen. Am besten sind immer solche Haikus die spontan erlebt werden.
Morgen mehr da zu gerne auch wieder hier.
Dir einen schönen Abend Anna
und wenn Du morgen aus dem Haus gehst, achte einfach auf ein simples naturerlebnis.
herzlich Ilona

Hi,

es ist echt schwer so einen konzentrierten Blick in Worte zu fassen.
Ich habe das mal mit Elfchen probiert und bin völlig daran gescheitert.
Hikus gefallen mir aber auch und den mit dem Kirchblühtenzweig finde ich sogar sehr sehr gut. Hat Tiefgang!

Liebe Grüße

Derolli

Äste ragen kahl
ins Himmelblau, eine Kräh'
plustert sich laut auf


Next try...

Ännchengrüße

ich könnte es mir auch so vorstellen:

in kahlen Ästen
plustert sich eine Krähe
Würmchen versteckt sich

Ah, liebe Ostseemöwe,

Von wegen der Spannung wahrscheinlich ...

Dann muss es aber sicher heißen:

Auf kahlen Ästen....

Liebe Grüße

Anna

klar Anne
das war mein Fehler, ja Du sollst nach Möglichkeit in wenigen Worten viele Bilder erzeugen, eine Spannung entstehen lassen oder eine Geschichte erzählen.
Ich sage jetzt aber
Gute Nacht
Ilona

heute morgen habe ich ein Foto für euch raus gesucht. Versucht einfach in 3 Zeilen und so wenig Worte wie möglich zu beschreiben was ihr dort
entdeckt. 1. Zeile Jahreszeit
2. Zeile und 3. Zeile Wahrnehmung

5 Jahreszeit
7 Beobachtung
5 Beobachtung

auf frostiger Bank
ruhen Rosen und Astern
welch klirrender Tod

sehr schön Olli, ich bin begeistert. ein schönes Haiku denke ich.

Zitat

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auf frostiger Bank
ruhen Rosen und Astern
welch klirrender Tod

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wenn ich das Foto nun nicht sehe, könnte ich mir denken hier hat jemand Blumen auf einer Bank vergessen. und ich frage mich warum? Mochte sie die Blumen nicht? Fand dort ein Stelldichein auf der Bank statt und der Mann hat seiner Freundin Blumen mitgebracht und sie wurden nach heißen Küssen vergessen. Du erzeugst hier ganz wunderbare Bilder in meinem Kopf. Und genau das soll ein Haiku leisten.

mein Haiku zum Foto:

Winterschaden
am Zaun erste Blumen
der Mensch braucht Farbe

Liebe Ostseemöve,,

das Wort Winterschaden ist eine harte Nuss für jemanden, der das Bild nicht vor Augen hat.
Mit dem Bild im Hintergrund stellt es sich aber genau als jenes Wort dar, welches ich nicht völlig beschreiben konnte inm den fünf ersten Silben - gute Spürnase!

Liebe Grüße

Derolli

lieber Olli
bleiben wir beim Winterschaden
Unverzichtbarer Bestandteil von Haiku sind Konkretheit und der Bezug auf die Gegenwart. Vor allem traditionelle Haiku deuten eine Jahreszeit an.
Was finden wir in dem Wort, oder noch konkreter was sagt es uns: 1. der Winter ist vorbei, 2. es muss ein langer kalter, feuchter Winter gewesen sein, denn nur so entstehen Winterschäden. Wo entstehen die Schäden: in der Natur. Wir sehen es im Frühjahr an Bäumen, an Mauern, an Zäunen.
In der 2. Zeile erkennt der Leser den Bezug, wo der Schaden entstanden ist.
am Zaun ich geben dem Leser die Freiheit erste Blumem, denn ich setze kein Kommata.
Der Leser kann aber auch beim Lesen die zweite Zeile für sich lesen
am Zaun erste Blumen, zuerst wollte ich Frühjahrsblüher schreiben, da ich aber bereis in der ersten Zeile Bezug auf die konkrete Jahreszeit genommen habe kam das hier nicht in Frage. Der Haikuaner vermeidet Doppelbilder. erste Blumen sind Schneeglöckchen, Osterglocken, Ranunkeln, Tausendschönchen.
Da ich konkret am Bild bleiben wollte / musste,
sah ich mir noch einmal das Foto als Ganzes an.
Ich sah hier war die hand des Menschen am werkeln. Ich entschied mich ganz spontan für den Satz der mir als erstes in den Sinn kam.
Der Mensch brauch Farbe

lieber Olli, Ja Winterschaden ist eine harte Nuss für den Leser. Aber so soll es auch sein. Ein akzeptables Haiku hat nicht nur konkret zu sein, es soll den Leser auch zum Denken heraus fordern.
Ein Beispiel ist dafür Berthold Brecht, ein Haiku von ihm.
Der Bauer pflügt den Acker.
Wer
Wird die Ernte einbringen?
geschrieben: März 1939
für mich stellt es die ganzen Ängste vor dem Krieg dar, und nicht ein Wort davon steht im Haiku. Es ist unser Gehirn die sich diese Bilder zusätzlich malt, vorallem wenn wir wissen wer es geschrieben hat.
So war es auch in Japan. Es war eine große Auszeichnung Haikudichter zu sein, sie korrespondierten unter einander.

Lieben Gruß Ilona
PS. Du bist doch Moderator! Was hältst Du davon, wenn wir ein extra Bonsaibeet anlegen? Kannst Du das in die Wege leiten?

Guten Morgen, ihr unermüdlichen Haikufreunde,

genau das ist es , was ich nicht verstehe. In Haikus sollen keine Interpretationen erscheinen, Derolli spricht aber vom klirrenden Tod - ist das nicht schon Interpretation ??

Nun kommt mein Versuch und für ein Bonsaibeet bin ich sofort mit Hingabe zu habe...

Frühlingserwachen -
Ranunkelköpfe gaukeln
mit Narzissengelb

Beste Grüße

Anna

liebe Anna
ja, Du hast Recht, und wenn wir das alte Haiku betrachten so
wäre eine korekte Aussage
auf frostiger Bank
ruhen Rosen und Astern
welch (ein) Tod warum nehme ich jetzt das klirrender raus? Weil es dann keine Interpretation, sondern eine Beobachtung ist. Ich sehe tote Blumen, sie sind erfroren. Ich nehme es auch heraus, weil wir erst einmal beim "alten Haiku" bleiben wollen. Keine Interpretation, nur sehen, hören, riechen, fühlen. Und es wäre eine Doppelaussage. In der ersten Zeile haben wir schon die frostige Bank.
Der Tod der Blumen ist aber eine nüchterne Feststellung.
Das ein habe ich bewusst dazwischen gesetzt.
Im Haiku gibt es zwar (nicht das festgeschriebene Metrum) aber sehr wohl den Klang der Sprache. Also fange ich hier nicht unbedingt an etwas vom Jambus oder ... zu erzählen. Nach Möglichkeit sollte aber doch gleichteitig ein schöner Klang erzeugt werden.
zu Deinem Haiku später Anna, ich muss mal kurz weg

Ja, Thomas, der zweite Versuch gefällt mir sehr gut. Das beschreibt, was ich in dem Bild sehe...

Vielen Dank dafür und herzliche Grüße

Anna

noch ein Versuch:

Milde Frühlingsluft -
Aus einer Kiste sprießt das
Gelb der Narzissen

nun erst einmal zu Thomas Haiku

Gefrorene Erde
bettet Rosen und Astern
in Todesruhe.
nun Thomas, beim betrachten des Fotos denke ich nicht an den Friedhof. Du etwa? Wenn ich aber Dein Haiku als Grundlage nehme könnte ich es mir auch so vorstellen:

auf kalter Erde
liegen Rosen und Astern
die Glocken läuten

liebe Anna, Dein neuer Versuch erzeugt für mich ein schönes Bild
herzlich Ilona

Liebe Ilona,

ich versuch mich auch mal an Deinem Bild:


Frühlingserwachen!
Aus unscheinbaren Zwiebeln
erwachsen die herrlichsten Farben

Hi,

wie wäre es damit:

Raureif auf Knospen
vereint Rosen und Astern
in Anmut und Tod

Lieber Derolli,

Ich versuch es auch noch mal...

Nebeldichte schwebt
über kargen Erdkrumen,
kein Grün erkennbar


Liebe Grüße

Anna

vielen Dank
Anna
Heidi
Olli
ihr seit so schnell da komme ich gar nicht hinter her.
Voraus schicken möchte ich aber: Ich bin auch nur eine Lernende in Sachen Haiku und Co. Wie gesagt, ich habe mich damit schon eine ganze Weile befasst und will nun hin und wieder gelerntes einflechten. Aber bitte widersprecht wenn ihr anderer Meinung seit. Es soll ein Geben und nehmen sein.
Ich habe noch etwas in meinen Unterlagen zum Haiku gefunden.
Es könnte interessant sein.
Bilder beim Haiku sollen Leben, ein Augenblick eingefangen,
Der Leser soll die Möglichkeit haben nachzufühlen, was unausgesprochen, vielleicht sogar unaussprechbar, bei einem Haiku mittransportiert wird. Dabei kann er natürlich auch zu ganz anderen Ergebnissen kommen als derjenige, der das Haiku geschrieben hat.
Wusstet ihr, das van Gogh sich für Haikus interessierte?

»Wenn man sich mit der japanischen Kunst befasst, dann sieht man, wie ein unbestreitbar weiser und philosophischer und kluger Mann seine Zeit womit verbringt? Die Entfernung des Mondes von der Erde zu studieren? Nein. Die Politik Bismarcks zu studieren? Nein. Er studiert einen einzigen Grashalm.«
»Schau mal, ist das, was die Japaner zeigen, nicht beinah eine wahre Revolution, diese einfachen Japaner, die wie Blumen in der Natur leben?«
Vincent van Gogh in einem Brief an seinen Bruder Theo, 24.Sept. 1888
so und nun zu Heidis Haiku:

Zitat

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Frühlingserwachen!
Aus unscheinbaren Zwiebeln
erwachsen die herrlichsten Farben

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In Japan wir sehr wenig mit Ausrufe und Fragezeichen gearbeitet. Ich bin mir nicht mal sicher ob sie diese überhaut haben. Sie haben dafür viel mehr Schriftzeichen. Ich würde das "!" in der ersten Zeile weg lassen.
was haltet ihr davon?
Frühlingserwachen
der Zwiebel
Farbe sprißt
ich glaube da würde sich van Gogh mitfreuen und Du bestätigst ihm ein Haikuschreiber beschäftigt sich mit einem einzigen Grashalm.
Aber es ist nur so eine Idee von mir.
Später wieder mehr
lieben Gruß in den Dienstag
Ilona