Haiku-Paar


Ein eisiger Wind
durchdringt Kamin und Fenster.
Die Wiege steht leer.


Der erste Schnee fällt,
legt sich als samtenes Tuch
auf das kleine Grab.




© Ralf Schauerhammer

Liebe Heliane,

ich kann dir die Frage nicht beantworten, da ich nicht weiß, was ein Haiku ist (es ist ja weder Hai noch Kuh ). Ich versuche ja gerade selbst herauszufinden, was ein Haiku im Deutschen sein könnte. Die Silbenzahl-Regel erscheint mir da eher unwesentlich, aber ich denke, man sollte sie einhalten, solange man nicht begründen kann, warum ein Abweichen sinnvoll ist. Aufgrund des Unterschieds der Sprachen, sind in Deutsch relativ weniger Worte möglich als im Japanischen, was jedoch kein grundlegendes Problem ist. Auch überzeuge ich mich gerade davon, dass Haikus in Deutsch trotz der wenigen Silben gut klingen müssen, d.h. keine Weglassungen und abgehackten und steife Sätze, sondern trotz der Kürze soll eine melodische und rhythmisch passende Sprache zum Vorschein kommen. Bezüglich der Verwendung von Wortarten sehe ich eigentlich keinerlei Begrenzungen.

Haikus müssen vor allem die Einbildungskraft durch sehr wenige gegeneinander aufgespannte Bilder, bzw. Objekte, (meist nur zwei) so anregen, dass eine hinter diesem Bildern liegende emotionale Gestalt sichtbar wird.

Es ist nur ein Versuch mit diesen kleinen Dingerchen. Vermutlich lasse ich es bald auch erst mal wieder.

Formen sind ganz allgemein für mich keine Regeln, sondern eher Gestalten, bzw. Gestaltungsprinzipien.

Liebe Grüße
Thomas

Liebe Ilona, lieber Hans und lieber Sanderling,

Vielen Dank für die positiven Kommentare und das Lob. Bei Hans und Sanderling möchte ich mich entschuldigen, dass ich nicht sofort geantwortet habe.

Liebe Grüße
Thomas


Ihr Lieben,

mir ist gerade noch etwas vielleicht Interessantes zum Haiku eingefallen. Ich erinnere mich nämlich eines überraschenden Zitates, in dem der japanische Goetheforscher Hikaru Tsuji das Zitat "Natürlichem genügt das Weltall kaum, was künstlich ist, verlangt geschlossnen Raum." Ganz positiv auffasst und sagt, als Japaner denke man da sofort an die Teezeremonie, die auf sehr engem Raum stattfindet. Ich selbst habe das Zitat, mit welchem im Faust II der Homunculus seinen Erzeuger Wagner (und Mephist) begrüßt, eher negativ, als Beschränkung des Künstlichen, aufgefasst. Der Japaner sieht das aber spontan positiv. Die starke Beschränkung des Haiku auf wenige Silben, wird also, genau wie der enge Raum der Teezeremonie, als für die Kunst positiv, ja fast als Voraussetzung für die Entfaltung der Kunst angesehen. (Das scheint mir dem Denken der "Freien Form" diametral entgegengesetzt zu sein.)

In diesem Zusammenhang fällt mir noch ein weiterer Punkt ein. Die Tatsache, dass ein derart trivialer Inhalt, wie ein Frosch, der beim in den Teich springen ein Geräusch macht, von den Japanern als so schön empfunden wird, beweist, dass in der Form des Haiku, welche sich mit Sicherheit nicht auf eine bestimmte Anzahl von Silben (Moren) reduzieren lässt, sondert ganz offensichtlich viele klangliche und rhythmische Gesetzmäßigkeiten erfüllt, dass diese Form es ist, welche die Schönheit des Haiku ausmacht. Die Aufgabe im Deutschen wäre demnach, entsprechende klanglich-rhythmische Gesetzmäßigkeiten zu finden, welche eine schöne Form ergeben.

Ok, für heute schließe ich meinen Laberkast.

Liebe Grüße
Thomas

Liebe Ostseemöwe,

ich verstehe nicht so ganz, wogegen du "gewaltig widersprichst". Was Hikaru Tsuji sagt, ist seine Meinung, die Goethes Denken treffend wiedergibt (Man denke nur an das Gedicht "Natur und Kunst" ), mir war das an der Stelle in Faust nicht nicht aufgefallen.

Ich höre und lese von Vertretern des Freien Verses immer wieder, dass ihrer Kunst alles Einschränkende, wie Metrum, Reim und letztendlich jegliche Formvorgabe im Wege stehe. Ich kann das nicht anders verstehen, als eine Position, die Goethe und dem was Hikaru Tsuji sagt, diametral entgegensteht. Das wollte ich anmerken, da das Haiku oft auch als Freie Form dargestellt wird. Ich glaube, das Haiku ist schon von der Denkart, die Hikaru Tsuji anspricht, keine Freie Form. Ich habe jetzt einfach nochmals wiederholt, um deutlich zu machen, was ich meine, da ich deinen "Widerspruch" nicht verstanden habe.

Wenn ich sage, dass ich das 5-7-5 Schema nicht ohne Grund ändern will, dann gilt das ganz allein für mich. Andere können machen, was sie wollen. Man sieht ja an Brecht, was dabei herauskommt. Ich finde die drei Zeilen unpoetisch, prosaisch und platt, kein interessantes Bild und null Metapher. Natürlich wird die Arbeiterklasse ausgebeutet, und die wirkliche Ernte fahren die Kapitalisten ein – oder ist mir da etwas Tiefgründiges entgangen? Die Zeilen eines der "bekanntesten Haiku-Dichters" sind bezüglich der Bilder interessant und vermitteln tatsächlich eine Metapher, leider sind sie in einem Stammeln verfasst, fast Kanak Sprak, welches mich abstößt. Das klingt hart, aber - und darauf Ziele meine Bemerkung zum Frosch-Teich ab - es muss etwas sprachlich schönes sein (d.h. gerade die Sprach-Form) was die Japaner an Haikus so begeistert. Was den Japanern recht ist, sollte uns billig sein, d.h. sprachlich (form- ) schöne Haikus.

Nochmals, das ist alles meine persönliche Meinung, was andere Genies und Könner sagen, ist für mich nicht relevant, solange ich es nicht verstehe. Ich bemühe mich aber zu verstehen.


Lieber Jorsch,

vielen Dank für dein Lob und den Hinweis zur Deutschen Haiku Gesellschaft. Ich habe gestöbert und festgestellt, dass ich wohl ein seltsamer Vogel bin. Ich glaube ich mache einfach meine Art von Haiku, vielleicht nenne ich es ja "Kuhai", damit es keine Irritationen gibt.

Liebe Grüße euch beiden
Thomas

Liebe anna,

herzlichen Dank für deinem schönen und aufbauenden Kommentar. Ich muss Bushos Pfade lesen, um ihm auf diesen folgen zu können.

Liebe Grüße
Thomas

Lieber Wolfgang,

ich bin dir sehr dankbar, dass du mir diese etwas ältere Diskussion noch einmal in Erinnerung gebracht hast, denn ich habe (hoffentlich) verstanden, warum ich Ostseemöwe nicht verstanden habe. Ich beziehe mich bei der freien Form auf das, was i.A. darüber gesagt wird, während Ostseemöwe implizit meint, dass die "freie Form" (trotz es fälschlich als "frei von Form" zu verstehenden Namens) sehr wohl eine Form hat, die zwar nicht durch Reime und bestimmte fest Metren bestimmbar ist, aber dennoch da ist. Ich hoffe, das ist, was Ostseemöwe gemeint hat. Wenn dem so ist, löst sich der Widerspruch in den Kommentaren auf.

Vielen Dank auch für die Beschreibung des Eindrucks, welche die beiden Haikus auf dich machen. An einer "Deutung" war mir zwar nicht gelegen, aber es ist etwas daran, weil in der Metapher verschiedenartige Dinge aufeinander bezogen werden, und sich dadurch neu, bzw. tiefer erklären.

Liebe Grüße
Thomas

Lieber Wolfgang,

das finde ich hier im Forum auch so schön, dass verschiedenste "Richtungen" (z.B. "Reiner" und "Freie" ) nicht nur nebeneinander-her-schreiben, sondern diskutieren.

Liebe Grüße
Thomas