Haiku 1

Nun bedeckt der Schnee
frisch gepflanzte Herbstblumen
auf dem Urnengrab.


Haiku 2

Wildgänseschwärme
ziehen am Himmel dahin.
Schneeglöckchen blühen.


Haiku 3

Der Mond steht ruhig,
nur die Kerze erzittert
bevor sie erlischt.


Haiku 4

Das Pferd frisst den frischen Halm.
Die Distel daneben blüht.


Haiku 5

Aus der Pfingstrose
fällt ein Blütenblatt herab.
Kein Lüftchen regt sich.


Haiku 6

Vom Pfeil getroffen
stürzt der Adler. Nur eine
Feder steigt im Wind.


P.S.: Nachdem ich zum Haiku von Anna a. meinen Senf hinzu gegeben habe, stelle ich meine spärlichen Versuch zur Kritik ein.

Liebe Medusa,

vielen Dank für die Bauchgefühl-Rückmeldung.

Bezüglich der Regeln muss ich auch passen. Ich vermute, dass die Silbenzahlen nur ein sehr großes Muster sind.

Wahrscheinlich können wir uns gar nicht in die japanische Tradition integrieren, sondern müssen eine Übertragung versuchen, d.h. uns von dem, was wir unter Haiku verstehen können, anregen lassen.

Das Aufregendste am Haiku finde ich, in dieser Kürze eine Metapher zu erzeugen, d.h. einen Gegensatz (Spannung) und dessen Synthese (Auflösung), reine Naturbeschreibung langt da nicht aus, es muss immer eine jenseitige, transzendente Bedeutung mitschwingen.

Liebe Grüße
Thomas

Liebe Haikufreunde,

ich habe gerade festgestellt, dass ich vor einiger Zeit einig Haikus eingestellt hatte, welche ich hier verlinken will.

Den sechsten würde ich heute lieber so schreiben:

Vom Pfeil getroffen stürzt der Adler.
Eine Feder trägt der Wind empor.

Liebe Grüße
Thomas

Liebe Klatschmohn,

danke für deine Rückmeldung. Beim erneuten Lesen ist mir gerade eingefallen, das für Haiku 3 besser ist:

Der Mond steht ruhig,
die Kerzenflamme zittert
bevor sie erlischt.

Es zittert ja nicht die Kerzen, sondern nur die Flamme im Wind, die wie wir von Irdischem beeinflusst ist, wir die Angst vor dem Tod haben, den der Mond im Himmel nicht zu fürchten braucht.

Liebe Grüße
Thomas

Liebe anna a.,

ich habe das Gefühl, dass ich mich noch mehr mit den Haikus der Japanischen Meister beschäftigen muss, bevor ich weiteres versuche.

Zu deinem Haiku fällt mir spontan ein, dass ich "Rehe" und "ääsen" nicht in verschiedene Zeilen schreiben würde, auch den Plural in der letzten Zeile würde ich meiden. Wahrscheinlich würde ich auch das "zerstreut" streichen, jedenfalls solange das Verb "fallen" da ist. Aber das sind alles Dinge, die ich nicht begründen kann, weil mir das nötige Wissen fehlt.

Liebe Grüße
Thomas

Liebe anna a., und Ostseemöwe,

ich werde lesen, es dauert, aber dann...

Liebe Grüße
Thomas

Lieber Sanderling,

vielen Dank. Die von dir erwähnten Haikus halte auch ich für gelungen. "Verborgenes halb ins Licht stellen" ist das Wesen der Metapher - und Haiku ist für mich "Metapher-Extrakt". Z.B. zum Adler-Haiku: Wenn wir sterben, gibt es da eine "Feder", die nach oben fliegt? Aber im Haiku ist ja alles reine Naturbeobachtung.

Liebe Grüße
Thomas