Der Rabe und die Nachtigall

Der Rabe sprach zur Nachtigall:
Dein regelhaftes Musizieren
mit Klang und Hall und Widerhall
gilt absolut nichts mehr bei Tieren.

Man krächzt heut frei und ohne Maß
ganz aus dem hohlen Bauch heraus;
was laut und fetzig ist, macht Spaß
und findet überall Applaus.

Die Nachtigall blieb stumm, doch sang
sie nachts in alter Weise wieder
und sang mit wundervollem Klang
dem Weltenschöpfer ihre Lieder.



© Ralf Schauerhammer

Lieber Sanderling,

vor 20-30 Jahren habe ich oft nachts gearbeitet und konnte damals das Lied der Nachtigall hören, wenn ein Gewässer mit Uferbewuchs in der Nähe war. Es klingt ja sehr weit. Schade dass es heute nicht mehr so zu sein scheint. Im Gedicht haben beide auf ihre Art Recht, die Lebenseinstellungen ist jedoch sehr unterschiedlich.

Liebe Grüße
Thomas

Lieber Carlino,

tatsächlich entstammt die Idee einer derartigen Diskussion, aber eine allgemeine "verborgene Kritik in Richtung freier Lyrik" sehe ich nicht, erstens, weil ich dazu neige Kritik nicht zu verbergen und zweitens, weil auch die Nachtigall wirklich gute freie Lyrik singen kann. Es ist, wie bereits gesagt, eine Einstellungssache, oder eine Frage der Dimension, singe ich nur für den Zeitgeist, oder für etwas, das darüber hinausgeht.

Liebe Grüße
Thomas

P.S.: Die Kritik an der "Regelhaftigkeit" kommt vom Raben und passt einfach zu seiner Einstellung, vielleicht erkennt der Zeitgeistrabe gar nicht, nach welchen Regeln die Nachtigall wirklich singt, wenn sie das nachsingt, was ihr der Schöpfer vorgesungen hat.

Liebe Heike,

es freut mich, dass dir das Gedichtlein gefällt. Die Raben gehören ja auch zu den "Singevögeln". Ich mag Raben sehr gerne, sie sind klug und lustig, und ihr glänzendes schwarzes Gefieder finde ich schön. Ich glaube es ist kein schlechtes Zeichen, wenn die Raben dir etwas vorsingen, eher ein gutes. Grüße sie recht schön von mir.

Liebe Grüße
Thomas

Liebe Heidi,

dein Kommentar freut mich sehr, denn er hat mich (durch die Frage des "Herauslesens" ) direkt zu einem neuen kleinen Gedichtchen angeregt. Viele Dank dafür.

Liebe Grüße
Thomas

Liebe Ilona,

vielen Dank, wir sehen es ähnlich. Trotzdem möchte ich noch etwas hinzufügen, was mir erst aufgefallen ist, nachdem ich das Gedicht veröffentlicht habe, nämlich dass ich vielleicht von einer mir bekannten Fabel beeinflusst worden bin. Hier ist sie:

Der Schäfer und die Nachtigall

Du zürnest, Liebling der Musen, über die laute Menge des parnassischen Geschmeißes? - O höre von mir, was einst die Nachtigall hören musste.

"Singe doch, liebe Nachtigall!" rief ein Schäfer der schweigenden Sängerin, an einem lieblichen Frühlingsabende zu.

"Ach," sagte die Nachtigall, "die Frösche machen sich so laut, dass ich alle Lust zum Singen verliere. Hörst du sie nicht?"

"Ich höre sie freilich," versetzte der Schäfer. "Aber nur dein Schweigen ist schuld, dass ich sie höre."

Gotthold Ephraim Lessing


Mein Rabe ist jedoch nicht mit dem "parnassischen Geschmeiß", d.h. mit dem Pöbel auf Apolls Berg der Lyrik, zu vergleichen. Und auch die Nachtigall ist keine etwas zickige Primadonna, wie in der Fabel.

Vor allem geht es nicht um eine Wertung der Schönheit an sich, wie du richtig sagst. Es geht um die Frage der Einstellung. Rabe und Nachtigall sind ja beide Singvögel. Der Rabe in meinem Fabel-Gedicht lebt im Zeitgeist und äußert der Nachtigall gegenüber eine etwas oberflächliche Kritik (wie sie meint), der sie jedoch nichts entgegensetzen kann, da sich die Frage der Einstellung nicht logisch diskutieren lässt. Sie macht also einfach weiter, mit dem was sie für richtig hält. Rabe und Nachtigall werden das jeweils ihrige Publikum erfreuen. Es bringt nichts, wenn sie sich gegenseitig etwas vorschreiben. anstatt das zu tun, ist es sinnvoller, sich selbst darüber klar zu werden, ob die eigene Einstellung mit seinem Tun übereinstimmt.

Das waren viele Worte, die aber – nachdem mir die Fabel wieder in den Sinn kam – vielleicht nicht ganz überflüssig sind.

Liebe Grüße
Thomas

Liebe Heliane,

danke für dein Lob. Am Tag habe ich noch nie eine Nachtigall gehört, ich kann mir aber vorstellen, dass sie auch am Tag singen und man sie nur in der Nacht besser hört, weil alle´anderen vögel schweigen.

Liebe Grüße
Thomas