Vers1: Im Rudel sind wir mächtig, da fühlen wir uns prächtig, da sind wir alle, alle dabei, und schlagen alle zu Brei, die anders sind als wir. Wir lieben die Empörung und grölen gleich "Verschwörung!" wenn jemand widerspricht, wir tolerieren nicht, was anders ist als wir.
Refrain: Die Medien sind unsre Verbindung zur Croud, wir surfen mit unserem Brett vorm Hirn auf den Wellen der wokenden Cloud: Es lebe das Weltweite Net!
Vers2: Wir können sehr gut hassen, wir geifern und wir lassen den Schweinehund heraus, nur der bekommt Applaus, der grad so ist wie wir. Wir teeren und wir federn, wir lynchen gern und ledern, die dummdreist widersprechen und nicht der Norm entsprechen, die Norm bestimmen wir.
Refrain:
Im Rudel sind wir mächtig, da fühlen wir uns prächtig. Im Rudel, im Rudel, im Rudel sind wir mächtig, mächtig!
Anmerkung zur möglichen Melodie: Verse im Marschtempo, Refrain im Walzertakt.
Anmerkung zum Inhalt: Aus der Dankesrede "Der 'High-Tech-Frieden' braucht eine neue Art von Humanismus", vom 12.10.2014 anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels von Jaron Lanier:
Die dunkelste meiner digitalen Ängste betrifft das, was ich den "Rudelschalter" nenne. Es ist die These von einem hartnäckigen Zug des menschlichen Charakters, der sich dem Frieden widersetzt. Nach dieser Theorie sind die Menschen Wölfe; wir gehören zu einer Spezies, die als Individuum oder als Rudel funktionieren kann. In uns ist ein Schalter. Und wir neigen dazu, uns immer wieder plötzlich in Rudel zu verwandeln, ohne dass wir es selbst bemerken… Wenn es eines gibt, das mich am Internet ängstigt, dann dies: Es ist ein Medium, das „Flashmobs“ auslösen kann und regelmäßig schlagartig „virale“ Trends schafft…
In Deutschland hat dieses Thema natürlich ein besonderes Echo. Gerne würde ich etwas Tiefgründiges dazu sagen, aber offen gestanden verstehe ich einfach nicht, was passiert ist. Meine Mutter kam aus Wien, und viele ihrer Verwandten fielen dem Übel und der hochglänzenden Mega-Gewalt des Nazi-Regimes zum Opfer. Als junges Mädchen hat sie schreckliches Leid erlebt und wäre fast selbst gestorben. Wenn mir diese Ereignisse nicht so nahe wären, wenn ich ihre Wirkung gedämpfter zu spüren bekommen hätte, fiele es mir jetzt vielleicht leichter, so zu tun, als würde ich verstehen, was passiert ist, wie so viele Gelehrte behaupten. Auch wenn ich viel darüber gelesen habe, finde ich es immer noch unglaublich schwer, die Nazi-Zeit zu verstehen. Auf jeden Fall haben die Nazis bewiesen, dass eine moderne, hoch technisierte Sensibilität kein Schutz gegen das Böse ist. In dieser Hinsicht verstärkt die Nazi-Zeit meine Sorge, dass das Internet als überlegene Plattform für plötzliche Massengewaltausbrüche von Rudeln oder Clans dienen könnte…
dein Widerwille gegen dieses Massenphänomen ist mir selbst auch gut bekannt. Mir graut vor Veranstaltungen, die Massen lauthals einschwören wollen. Wenn in Fußballstadien Massen grölen, und die Namen der gegenerische Manschaftaufstellung jeweils mit dem Wort "Arschloch" quittiert werden, bekomme ich eine Gänsehaut. ( Ich gehe nicht in Stadien, wohne aber in der Nähe und höre es ). Da es ja auch die Schwarmintelligenz gibt, frage ich mich gerade ob die wohl auch auf den Menschen angewandt werden kann? Man könnte seinen Zweifel daran haben.
danke für deine Antwort und dein Beispiel. Was mit "Schwarmintelligenz" bezeichnet wird ist eine interessante Erscheinung, aber es ist keine "Intelligenz".
Mir ist übrigens inzwischen das Lied "Bevor ich mit den Wölfen heule" von Reinhard Mey eingefallen, vielleicht hatte ich es unbewusst im Hinterkopf. Hier ein Link zu einem Liveauftritt von 1969. Er hat damals das 68er-Rudel gemieden.
Als großes Problem sehe ich, dass man selbst die Rudelbildung gar nicht merkt, sondern nur die, die nicht zum Rudel gehören. Ein Beispiel ist das Geimpft-Rudel, welches über die unsolidarischen, asozialen Ungeimpften herfiel, durch G-Regeln aus der Gesellschaft ausschloss und zu Impfung nötigte. Das Rudel hält es heute noch für richtig, obwohl Pharmalobby und Politiker von Anfang an wussten, dass die Impfung nicht gegen Ansteckung wirkt, d.h. der Hass auf die Ungeimpften völlig unlogisch ist. Aber so funktionieren Rudel. Und die Entwicklung der asozialen Medien potenziert die Gefahr. Mals sehen, ich bin jedenfalls, ähnlich wie Reinhard, zum Mitheulen recht ungeeignet.
mir ist das auf der Demo letzten Samstag wiedermal aufgestoßen. Obwohl einerseits erfreut über die Solidarität, war ich doch gleichzeitig abgestoßen von den Massen und unfähig mitzulaufen…
ich habe eigentlich weniger an Demos gedacht, mehr an die moderne Form des Lynchmobs, die man shitstorm nennt, oder das, was in der zitierten Rede von Larnier zum Ausdruck kommt. Ich selbst bin gerne in Gesellschaft, aber das „Aufgehen in der Masse“ finde ich zum Kotzen. Und es ist gefährlich, wenn dann, von wem auch immer, ein „böser Feind“ ausgemacht wird.
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24.01.2024 19:08 (zuletzt bearbeitet: 24.01.2024 19:52)
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