Jahwe ruhte, weil er dachte,
alles gut gemacht zu haben:
Licht und Dunkel, Land und Meere,
Fische, Bäume, Gräser - Tiere,
die auf allen Vieren gehen
und die Menschen. Achtet sorgsam,
was die Bibel weise kündet:
In der besten Schöpferlaune
schuf er sie als Mann und Weib.

Jahwe schlief, doch Lilith wachte,
schaute kritisch in die Runde,
stieß dem Adam in die Rippen,
fragte ihn, ob er nicht spüre,
dass noch dies und jenes fehle.
Adam knurrte: Frau, gib Ruhe!
Alles ist zu unsrem Besten.
Lass die Finger von der Schöpfung,
sei zufrieden, Weib, sei still!

Doch Lilith, das feurige, rastlose Weib,
begann voller Eifer, die Welt zu verschönern.
Was farblos bisher ihre Sinne nicht reizte,
erstrahlte in glühenden, prächtigen Tönen.
Die Bäume ergrünten und rot blühten Rosen,
und safrangewandet bestrahlte die Sonne
mit goldenen Lanzen das Kobalt des Meeres.
Mit Purpur bestäubt sie die eigenen Haare,
betupft auch die Lippen und sieh! Es war gut.

Das Wispern des Windes in raschelnden Blättern
verlieh sie der Stimme für zärtliche Stunden,
sie lehrte die Lerchen die schönsten Gesänge,
Sitaren erfand sie, Schalmeien und Geigen,
die Sphärengesänge der Monde und Sterne,
das Zirpen der Grillen im Gras und das Rauschen
der silbrigen Bäche, das Summen der Bienen,
verdanken wir Lilith, dem prächtigen Weib.
Entsperrt eure Ohren und hört: Es ist gut!

Mit Äpfeln wars leicht für die Eva, die später
des hungrigen Adams Geschmacksnerven reizte.
Gourmets mögen Liliths besondere Küche,
die sonnengereiften Orangen und Feigen,
Filets von gemästeten Ochsen und Fische,
geräuchert im Rauche der duftenden Pinie,
vollendet mit Hebrons gewürzten Getränken
und schwarzen Oliven, zu naschen aus Liliths
verlockendem Schoß. Und sie sprach: Es ist gut!

Wie soll sie den schlummernden Adam bezirzen?
Er hört und er sieht nichts, die leckersten Sachen
verschmäht er und weiß ihre Kunst nicht zu schätzen.
Mit Düften der Myrrhe und Moschus von Hirschen,
mit Ambra und Ölen vom Moschus versucht sie
vergebens, den Adam im Adam zu wecken.
Die Welt macht sie bunter, Musik und Gesänge
erfreuen die Sinne, die köstlichsten Speisen
hat sie ihm bereitet, - er brummt nur: Is gut.

Nimm Öl von der Narde, ertönet von oben,
und salb ihn, wie später Maria die Füße
des einzigen Sohnes, der je mir vergönnt war.
Doch streich diesen Balsam in andre Regionen,
Vielleicht wird er denken, der Himmel sei nahe
und seufzend dir danken und Gleiches für dich tun.
Hätt ich nur des Adams gebändigte Klugheit
Geahnt, ich vermute, dann gäb es nur Liliths,
Dann könnt ich mir sagen: Ach ICH! Es ist gut.

Lieber Thomas,
ein Lob zu Beginn - das freut den Schreiberling!
Lilith und Eva als Synthese? Würden wir da nicht zwei Männerfantasien zusammen mischen? Mir kam es ein bisschen darauf an aufzuzeigen, wie in der Bibel (von Männern geschrieben) bei aller Hochschätzung der literarischen Leistung (einmal die der Verfasser, zum anderen die des Übersetzers ins Deutsche) eine auffallende Schwarz-Weiß-Malerei entstanden ist. (Himmel und Erde, Dunkel und Licht, Wasser und Land - nachzulesen in der Bibel, Genesis 1 - in der er nach seinem Abbild den Menschen als Mann und Frau schuf, denen sich alles, was auf der Erde war zu unterwerfen hatte).
Hätten Frauen die Erschaffung der Welt so beschrieben? Alles Weibliche, was möglicher Weise in der Bibel stand, wurde von Männern eliminiert (ein paar Sachen sind ihnen durch gerutscht) und so blieb Eva mit ihrer Bestimmung, dem Mann als untertänige Gehilfin zu sein und Kinder zu gebären als Leitbild stehen. Immer im Hinterkopf, dass die Bibel von Männern geschrieben wurde, wollte ich Lilith, diesem erotischen und selbstbewussten Weib, ein kleines Denkmal setzen. Sie musste sich nicht emanzipieren - sie war es. Und folglich wurde sie aus der Genesis entfernt.
Das waren meine Hintergedanken und ich glaube nicht, dass "wir" es einfacher hätten. Einfacher ist für Männer die männliche Lesart.
Liebe Grüße,
Hayk

Lieber Hayk,
welch ein Einstand! Hier bilden Sprache, Klang, Thema und Stimmung eine wundervolle Einheit. Selbst die Länge stört nicht - ich hätte gerne weitergelesen.
Es ist schön, über die durchaus positiven Eigenschaften der Lilith zu schreiben bzw. zu lesen. Allerdings sollten der Hinterhalt, in den sie Eva als Schlange lockte, und die Kindermorde nicht vergessen werden.
Ich werde dein Gedicht noch öfter mit unverminderter Freude lesen.
Herzliche Grüße,
Heliane.

Liebe Heliane,
solch ein Lob schlägt Pflöcke ein oder hängt die Latte für Folgegedichte sehr hoch.
Dass man Lilith später auf Gemälden mit einer Schlange um den Leib abbildete, dass die Dame rothaarig war, dass sie (ich glaube mich zu erinnern) ihre Töchter zu Dutzenden vernichtete und sie selbst dämonisiert wurde, halte ich für einen typisch männlichen Versuch, dieses Vollblutweib zu verteufeln.
Aber niemand von uns war dabei, niemand kanns beschwören - damit bleibt es bei meiner Auffassung: Die Bibel wurde von Männern geschrieben, Gott wurde nach ihren Vorstellungen geschaffen und das konnte für das weibliche Geschlecht nichts Gutes bedeuten.
Weil Dich die Länge nicht stört (vielleicht gibt es noch zwei oder drei, die nicht nur drei- oder vierstrophige Gedichte lesen, wage ich es , einen noch längeren "Hymnus" auf eine Frau einzustellen.
Liebe Grüße,
Hayk

Lieber Hayk,
war es nicht so, dass Gott sie nach dem Sündenfall verbannte und ihre Kinder tötete? Und sie aus Verzweiflung damit begann, andere Kinder zu töten? Ich weiß es leider nicht besser. Wie du schreibst, ist die Bibel ein Männerwerk, starke Frauen waren (und sind) unseren "Stützen der Gesellschaft" ein Greuel und wurden aus den Schriften getilgt.
Lange Gedichte haben oft den Fehler, wie Gebetsmühlen immer Gleiches zu wiederholen, so dass die Spannung und das Lesevergnügen verloren gehen. Dein Gedicht schildert in jeder Strophe andere Bilder und Stimmungen, Langeweile kann gar nicht eintreten.
Vergiss bitte die Pflöcke und die hoch gehängte Latte. Wir haben Sternstunden und Zeiten, in denen wir gar nichts zuwege bringen. Stellst du ein solches Werk ein, finden sich garantiert ein paar Musengärtner, die mitten in einer Sternstunde stecken, mit Rat und Tat zur Seite stehen und schwupps, kannst du deinen Faden wieder aufnehmen .
Ich freue ich auf deinen langen "Hymnus".
Herzliche Reformationstagsgrüße,
Heliane.

Liebe Heliane,
lang ist es her, dass ich mit Lilith näher beschäftigte. Ich erinnere mich, dass diese erste Frau Adams - die Rippengeschichte mit Eva kam erst später (und wenn man die Bibel genau liest, wurde der Mensch am sechsten Schöpfungstag nach dem Abbild Gottes geschaffen - als Mann und Frau. Diese Frau war nicht Eva - siehe Rippe und Erschaffung der Eva als "Gehilfin" Adams. Lilith war selbstbewusst, selbstständig, gleichberechtigt und - mich schauderts - wollte beim Liebesspiel auch mal oben liegen. Adam wollte seine dominierende Stellung nicht aufgeben, beschwerte sich bei Gott und - Lilith lachte sich schlapp. Sie war wohl der erste Flüchtling der Menschheitsgeschichte, ließ sich (auch wieder eine typische Sicht der Männer) mit einem bösen Geist ein und bekam eine Riesenanzahl von Kindern, die auf Gottes Geheiß (jeden Tag einhundert) umgebracht wurden. Lilith - in verständlicher ausufernder Trauer - wurde dann (wieder ein Versuch, sie zu verteufeln) von den männlichen Literaten behauptet) selbst zur Kindermörderin.
So weit meine Erinnerung.
Eva kommt ja auch nicht besonders gut davon: Sie - angeblich von der Schlange (in der "mann" natürlich Lilith sah) verführt, lässt Adam an der verbotenen Frucht knabbern. Resultet: Raus aus dem Paradies! Klar: Die Frau ist die Schuldige. Statt dem blöden Adam zu zeigen wo der Hammer hängt (bzw. in welcher Hand der Wach-Engel das Flammenschwert hält), soll die Schlange fürderhin auf dem Bauch kriechen und Staub fressen und Eva, die Gehilfin Adams ihre Kinder unter Schmerzen gebären. So etwas Hirnrissiges kann nur patriachalischen Männerköpfen entfleuchen.
Liebe Grüße,
Hayk

Lieber Hayk, das ist sehr interessant und gut geschrieben.Ich habe es gerne gelesen. Es gibt auch leider heute noch genügend Männer die Probleme mit selbstbewußten Frauen haben.

LG Heike

Liebe Heike,
danke fürs interessant und gut geschrieben!

Ja, es gibt nicht viel Neues unter der Sonne.

Liebe Grüße,
Hayk