Stumm, verzagt und irgendwie verloren
geh ich bang durch Straßen dieser Stadt,
die mir ein Verweil gegeben hat.
Ungewissheit schwitzt aus allen Poren.

Hinter mir der Krieg, die Diktatoren,
Flucht aus Elend, Angst und aus Verrat,
Schamgefühl als ich um Hilfe bat –
Stolz und Großmut sind darin erfroren.

Viele Menschen scheinen mir verschlossen,
Alles ist so unvertraut und fremd.
Diese Blicke haben mich verdrossen;

sie erschienen mir beinah gehemmt,
feindlich und in Angst und Neid gegossen.
Wo hat mich mein Schicksal angeschwemmt?!

Hallo Thomas,
danke für Deinen Hinweis! Da gebe ich Dir Recht, dieser Vers klang etwas unschön und unausgegoren. Ich hatte nur eine halbe Stunde Zeit für dieses Gedicht.
Ich habe das jetzt entsprechend geändert. Nun klingt es weitaus besser.
Angeregt durch Dich habe ich hier bewusst den Trochäus gewählt, nachdem ich die Idee für das Thema hatte, denn dafür war das auch angezeigt.
Warum nicht mal ein Sonett im Trochäus, habe ich mir gedacht.
Liebe Grüße!
Galapapa

Lieber Charly,
deine Experimentierfreudigkeit gefällt mir. Leider bist du hier für meine Lesart etwas daneben. Denn Trochäen (XxXx) haben einen betonten Auftakt, der besser durchgängig erhalten bleiben sollte, schau mal:

Zitat

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In Verzagtheit nahezu verloren xxXxXxXxXx (Anapäst)
geh ich bang durch Straßen dieser Stadt, xxXxXxXxX (Anapäst)
die mir ein Verweil gegeben hat.
Ungewissheit schwitzt aus allen Poren.

Hinter mir der Krieg, die Diktatoren,
eine Flucht aus Elend und Verrat xxXxXxXxX (Anapäst)
und die Scham, als ich um Hilfe bat. xxXxXxXxX (Anapäst)
Stolz und Großmut sind darin erfroren.

Warum sind die Menschen wie verschlossen? xXxxXxXxXx (Jambus/Anapäst)
Alles ist so unvertraut und fremd.
Diese Blicke haben mich verdrossen;

sie erschienen mir beinah gehemmt,
feindlich und in Angst und Neid gegossen.
Wo hat mich mein Schicksal angeschwemmt?!

---

Ich weiß, du magst solche Kritiken nicht besonders gern, ich kann nicht anders .
Herzliche Grüße,
Heliane.

Hallo Galapapa,

ein schöner, wenn auch bedrückender Text.
Zur Form kann und will ich nichts sagen,
mich hat der Inhalt sehr berührt.

Wo sind wir hier gelandet
in welcher Zeit gestrandet?

Erinnert mich irgendwie an Brecht: "An die Nachgeborenen"
"Was sind das für Zeiten ....."


Sehr gern gelesen!

Liebe Grüße

Michael

Liebe Heliane,
danke für Deinen Kommentar und auch für die Kritik!
Was ich an Kritik nicht mag, das ist ein Bemänglen von Dingen, die ich ohne Wenn und Aber als Geschmacksache einordne. Wollte man es allen Geschmächern recht machen, dann wäre das von vorne herein ein unmögliches Unterfangen.
Hier aber geht es um Metrik und außerdem weiß ich natürlich um Deine Kompetenz in solchen Dingen.
Oft habe ich diesbezüglich bei unseren großen Vorbildern nachgeschaut und dort auch immer wieder metrische "Unebenheiten" entdeckt, die jedoch dem Lesefluss keinen Schaden zugefügen. Ich habe vor einiger Zeit dann das Xen aufgegeben, ebenso wie das Silbenzählen und mich an den Hebungen orientiert.
Mir geht es vorwiegend um gefällige Lesbarkeit und runden Klang.
Der Text, den ich hier eingestellt habe, schien mir denn auch nicht holprig zu wirken. Das liegt natürlich auch an der unterschiedlichen Betonung, die man beim Lesen selber gewissermaßen wählt. Wenn ich z.B. auf betonte Auftakte sozusagen erst mal "geeicht" bin beim Lesen, dann betone ich die Anfangssilben der folgenden Verse eben auch und stolpere dann erst, wenn ich auf Worte dabei stoße, die mit betontem Anfang unmöglich klingen, wie z.B. bei V e r zagtheit.
Allerdings wird mir mein Mutterdialekt dabei manchmal zur Falle, wie hier beim Wörtchen "warum" (Vers 1, erstes Terzett). Wir Schwaben, die völlig zu Unrecht in Berlin so ungeliebt sind , können dieses Wort nämlich auf der ersten Silbe betonen, wie auch auf der zweiten. Sowas hat natürlich in einem Gedicht nichts verloren.
Da muss auch Trochäus sein, was Trochäus heißt, deshalb nehme ich Deine Kritik natürlich dankbar an und habe mich denn auch bemüht, den Text in ordentliche Metrik zu bringen. Mit einer Ausnahme allerdings, den zweiten Vers betreffend. Hier meine ich, dass man "geh" ebenso betonen kann, wie "bang".
Schau es Dir mal an, so müsste es metrisch einigermaßen in Ordnung sein.
Nochmals danke und liebe Grüße!
Charly

Hallo wüstenvogel,
danke für Deinen Kommentar! Es hat mich gefreut, zu lesen, dass Dich der Text berührt hat. Eben das sollte er nämlich auch.
Ja, der Inhalt ist bedrückend. Es fällt einem schwer, zu diesem Thema etwas Erfreuliches zu schreiben. Leider!
Liebe Grüße!
Charly

Lieber Charly,
fein, dass du überarbeitet hast, mir gefällt es jetzt viel besser.
Ich will versuchen, dir die Gründe für meine Kritik zu erklären, denn sie hat nicht unbedingt etwas mit Metrik oder Silbenzählerei zu tun.
Dein Gedicht ist für mich eine Kampfansage. Dein lyrisches Ich kämpft gegen seine Angst, gegen schlimme Entwicklungen … und letztlich gegen sein Schicksal. Und gerade für diesen starken Inhalt eignen sich die betonten Auftakte des Trochäus richtig gut. Kein anderer Versfuß könnte deinem Werk diese Kraft verleihen.

Als Beispiel das zweite Quartett im Trochäus, wie es jetzt klingt:
Hinter mir der Krieg, die Diktatoren,
Flucht aus Elend, Angst und aus Verrat,
Schamgefühl als ich um Hilfe bat –
Stolz und Großmut sind darin erfroren.

Und hier die gleiche Strophe im Jambus (von mir verändert), wie sie besser nicht klingen sollte; im Gegensatz zu deiner Überarbeitung vergleichsweise läppisch:
Und hinter mir der Krieg, die Diktatoren,
die Flucht aus Elend, Angst und aus Verrat,
das Schamgefühl, als ich um Hilfe bat –
mein Stolz und Großmut sind darin erfroren.

Ich glaube, mehr muss ich nicht schreiben, oder? Ist es nicht erstaunlich, wie EINE Silbe einen gleichlautenden Text verändern kann?

Sehr gerne gelesen und mich gefreut.
Herzliche Grüße,
Heliane.

Liebe Heliane,
vielen Dank für Deine Antwort!
Ja, Betonungen können eine Menge ausmachen. So viel ich weiß können im Chinesischen gleiche Worte mit leichten Unterschieden in der Betonung völlig unterschiedliche Bedeutungen haben.
Dessen bin ich mir natürlich auch bewusst gewesen, sonst hätte ich für ein Sonett ja auch den Jambus gewählt, so wie man das richtig macht. Nun könnte man fragen, warum dann eigentlich ein Sonett? Nun, ich mache Sonette nicht mehr geplant, das entscheidet sich beim Schreiben, wenn die erste Strophe steht. Dann versuche ich, mit den Regeln des Sonetts weiter zu machen. Die Reime der ersten Strophe entscheiden dann, ob es ein Sonett wird oder nicht.
Da ich gerne im Jambus und mit umarmenden Reimen schreibe, geschieht dies eben nicht selten.
Wie auch immer, mein Blick ist nun geschärft für weitere trochäische Abenteuer.
Liebe Grüße!
Charly

Lieber Galapapa,

leider habe ich Dein interessantes Gedicht erst jetzt richtig gelesen! Mir fällt auf, dass Du "ein Verweil" schreibst, was ich so nicht kenne. Bekannt ist mir das Verweilen, aber "die" Verweil kenn ich nur mit den Anhängen -dauer oder -zeit.

Ist das vielleicht aus dem dialektalen Bereich?

Liebe Grüße aus Samothraki, wo ein riesiger Windpark entstehen soll, der die Insel buchstäblich enthaupten würde
Karlheinz

Hallo Karlheinz,
im Duden ist "Verweil", Substantiv maskulin, nur noch angedeutet und wird dort mit anderen Begriffen verbunden (-zeit, -dauer). Ich meine, dass es eine alte, nicht mehr gebräuchliche Form von "das Verweilen" ist. Mit Dialekt hat das sicher nichts zu tun, zumindest nicht mit dem schwäbischen. Ich habe mir hier die dichterische Freiheit genommen, diesen begriff zu wählen, weil der Vers so nach meinem Empfinden klangvoller und vielleicht auch poetischer harmoniert.
Beim ersten Herunterschreiben hatte ich da "einen Platz" stehen. "Verweil" hat für mich außerdem den Vorteil, dass das Wort die mögliche Begrenztheit des Aufenthalts zum Ausdruck bringt.
Für mich wäre allenfalls zu überlegen, ob man statt des Artikels "ein" hier "jetzt", "nun" oder "heut" einsetzen könnte.
Danke für Deinen Hinweis!
Liebe Grüße!
Charly

P.s.: Windkraftanlagen stören unter Umständen erheblich das ursprüngliche Landschaftsbild; das ist richtig und das sehe ich auch so. Ich sehe aber auch, dass dies im Prinzip auch durch Strommasten und -leitungen geschieht, eigentlich ja auch durch menschliche Bauwerke an sich. An Letzteres haben wir uns gewöhnt bzw. kennen das nicht anders. Das gilt leider inzwischen auch für den Dreck in unserer Atemluft, Nahrung und unserem Wasser.
Im Hinblick auf saubere Energiegewinnung habe ich mich da auf den Standpunkt begeben, dass wir uns eben auf diesen neuen Anblick einrichten müssen, auch, dass die Windräder teils an scheinbar besonders ungünstigen Orten gebaut werden. Sie müssen eben da stehen, wo auch am meisten Wind ist, sonst müsste man noch viel mehr von den Dingern errichten.
Ich weiß aber, dass diese verlangte Akzeptanz richtig weh tun kann.

lieber Charly

Dein Gedicht berührt mich zu tiefst, es berührt mich weil ich mich oft selbst frage welches Erbe wir angetreten haben. Warum konnten wir, die nicht dieses Leid des Krieges erleben mußten, nicht freundlicher und feinfühliger mit dem Leid anderer umgehen? Haben wir durch unsere Väter und Mütter nicht genug erfahren was Leid, Hunger, Flucht und Not bedeuten?
Warum können wir nicht großmütig aus dem Herzen schenken?
Natürlich habe ich in dieser bewegten Zeit auch so viel selbstverständliche Gabe gesehen. Natürlich gibt es viele Menschen die gerne ihren Wohlstand oder das Wenige ihres Besitzes teilen.
Aber warum spüre auch ich zu oft die Kälte? Fragen die nur im Später beantwortet werden können?
herzliche Grüße Ilona

Liebe Ilona,
das eifersüchtige Klammern an Besitz, die Angst vor Unbekanntem und Neuem und der zunehmende Egoismus sind wohl die Kräfte, die viele Menschen so werden lassen. Den unerträglichen Egoismus sehe ich unter Anderem als Auswirkung der Reizüberflutung und des uferlosen Informationsflusses, der es immer mehr überflüssig macht, sich bei Anderen zu informieren und sich auf Andere einzulassen. Google ersetzt zunehmend den Kontakt mit Mitmenschen, kommuniziert wird möglichst anonym.
Bei all dem darf man aber nicht vergessen, wie viele Menschen aufopferungsvoll bereit waren, zu helfen und es immer noch sind.
Auch ich selbst kenne den Krieg nur aus den Erfahrungen meiner Eltern und Großeltern. Spätere Generationen sind von diesem Leid noch weiter entfernt; es berührt sie nicht mehr genug, um daraus zu lernen.
Wie vermutlich auch Du, gehöre ich zur Nachkriegsgeneration, die noch die Erfahrung gemacht hat, von Mitmenschen aus anderen Ländern Ablehnung bis teilweise hin zu Hass ohne eigene Schuld ertragen zu müssen. Weitaus schlimmer aber ist, sehen zu müssen, wie viele junge Zeitgenossen heute zu dem zurückkehren, was einst das unsägliche Leid ausgelöst hat. Ist es eine Art Leidenssehnsucht oder unvorstellbare Dummheit?
Bleiben wir offen für die Menschen, die unsere Hilfe brauchen! Nur so hat die Menschheit eine Zukunft.
Liebe Grüße!
Charly