Beim Lesen von Poesie kommt es oft vor, dass mir gelobte Werke nicht gefallen und mich nicht erreichen, während andere, oft weniger goutierte Werk mich erfreuen und bewegen. Ich habe schon längere Zeit darüber nachgedacht, warum das so ist und was der Unterschied sein mag. Kürzlich hatte ich in einer lockeren Runder, in der Witze erzählt wurden, ein Aha-Erlebnis. Zwei kurze Witze hintereinander:
Treffen sich zwei Jäger im Wald. Beide tot.
Ist der Fisch immer so nervig? Ja, es ist ein Stör.
Den ersten Witz fand ich lustig, den zweiten nicht. Als ich überlegte, worin sich die Witze unterscheiden, wurde mir etwas über Poesie klar.
Der erste ist ein Bild-Witz: Er zeichnet in der ersten Zeile im Hörer das Bild zweiter Jäger, die sich z.B. beim Spazierengehen im Wald treffen oder in der Kneipe. In der zweiten Zeile wird dann das Bild völlig auf den Kopf gestellt, beide Bilder erzeugen eine paradoxe Vorstellung. Das ist möglich, weil das Wort "treffen" mehrdeutig ist, und der Witz für einen Moment beide Vorstellungen im Hörer lebendig macht. Der Hörer sieht plötzlich, das zugegeben etwas makabre Bild zweier Jäger, die sich mit ihren Gewehren getroffen haben.
Der zweit ist ein Wort-Witz: Die erste Zeile erzeugt eigentlich kein deutliches Bild, höchstens das zweier Personen, die miteinander reden. In der zweiten Zeile merkt man dann, wieder ohne Bild sondern durch logisches Schließen: Stör, stören, Störer, aha, nervig! Man kann sich dann zwar auch freuen, dass man draufgekommen ist, aber ein Paradox ist nicht vorhanden.
Ich glaube nun auch erkannt zu haben, warum mir manche wortgewandten Gedichte nicht so zusagen, wie sich das gehört. Wenn nämlich der Wort-Witz, also die sprachliche Raffinesse im Vordergrund steht, und keine lyrisch hervorgebrachten Bilder wirksame werden, dann bewegt mich der Text nicht. Erzeugt das Gedicht jedoch eine Folge von interessanten, vielleicht sogar paradoxen Bildern, die ich für einen Augenblick gleichzeitig erlebe, dann gefällt es mir und dann bewegt mich sozusagen der Bild-Witz des Gedichtes.
Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
Lieber Thomas, bei dem ersten Witz wäre das Bild sogar noch intensiver wenn er lautete, "Treffen sich zwei Jäger im Wald". Du hast es gut erklärt, mir geht es genau so. LG Heike
danke, ich übernehme es so. Ich bin froh, dass ich mich anscheinend einigermaßen verständlich ausgedrückt habe, das ist ja nicht immer so.
Liebe Grüße Thomas
Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
das ist eine interessante Beobachtung, die mich zu der Frage führt, sind Lyriker nicht ohnehin eher visuell geprägte Menschen? Andererseits gibt es auch lautmalerische Gedichte, die sich über das Gehör noch einmal ganz anders erschließen - mir fällt nur gerade spontan kein Beispiel dazu ein, ich müsste , glaube ich, einmal bei den Dadaisten nachsehen.
Ohnehin denke ich, dass man das eine vom anderen nicht trennen kann. Wir haben nun einmal mehrere Sinne und je vielfältiger die Sprache diese anspricht, desto tiefer berührt sie - davon bin ich überzeugt.
In der Poesie geht es um das Verdichten und das gelingt sehr gut über Bilder. Daher denke ich, dass dieser Sinn vielleicht bei Lyrikern besonders ausgeprägt ist .
Herzliche Grüße und vielen Dank für diesen Gedankenanstoß.
was du über den Klang sagst und dessen Zusammenhang mit poetischen Bildern, und auch in deinem Gedicht "Was Klang vermag" sehr schön darstellst, halt ich für wichtig und richtig. Mir scheint es, dass sich poetische Bilder von Bildern der Malerei und bildenden Kunst unterscheiden, genau wie der Klang der Sprache nicht Musik ist.
Wesentlich scheint mir, dass es keine logische Verbindung zwischen den Bildern, welche die Einbildungskraft aus dem Klang entstehen lässt gibt, aber eine schöpferische! Es entsteht ein Gefühl der Freiheit im Hörer, weil im Gedicht die Bilder (bzw. die Bilderfolge) aus dem Klang genau in der Weise entstehen, wie der Leser glaubt, dass sie entstehen müssten, wenn er selbst die freie Wahl hätte - die er in Wirklichkeit nicht hat, weil ihn der Dichter an unmerklichen Fäden lenkt. Es ist gerade das Problem des Wort-Witzes, denn dabei ist die Einbildungskraft des Hörers nicht angeregt, sondern bestenfalls nur angestoßen.
Liebe Grüße Thomas
Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
Wir hoffen, dass dir unser Forum gefällt und du dich hier genauso wohlfühlst wie wir.
Wenn du uns bei der Erhaltung des Forums unterstützen möchtest, kannst du mit Hilfe einer kleinen Spende dazu beitragen,
den weiteren Betrieb zu finanzieren.
Deine Spende hilft!
Spendenziel: 144€
82%
Forum online seit 10.11.2013 Design by Gabriella Dietrich