Er glaubt ein Dichter, ein Künstler vor dem Herrn zu sein. Jeden Tag platziert er sein neues Gedicht im Internet, genauer gesagt, in einem der unzähligen Dichterforen. Seine Worte sind klug erdacht, alle Zeilen sind im Reim und Takt. Viel Lob und Anerkennung erntet er von den anderen Freizeitdichtern. Er schreibt über die alltäglichen Dinge des Lebens, über die Blumen, die Liebe und über die Dichtkunst. Im Internet findet er auch die Formen der dichterischen Gestaltung und setzt sie mit Bravur gezielt ein. Die wohlgemeinten Kommentare geben ihm genau diese Bestätigung, die er sucht. Die ganze Welt erscheint ihm wie ein riesiger Ponyhof. Schon Morgen schreibt er wieder ein neues Gedicht in seiner Stube. Er schreibt über die Dinge und hat sie doch nie erlebt, nur für sich allein. Über die Jahre schreibt er sich in die Einsamkeit.

Der skurrile Hobby-Dichter aus Tommy Jauds Roman „Hummeldumm" hat einen wesentlichen Vorteil gegenüber meinem hier beschrieben Protagonisten, er hat etwas zu sagen und berührt. Es hindert ihm auch nicht in seinem Dichterdrang, wenn er Kritik einstecken muss. Er hat eine Form gefunden, seine Gedanken in die Welt zu tragen, ohne Dichterforum und Internet. Seine Reime beißen sich gehörig, doch lässt er sie so stehen wie sie sind. Was gesagt werden muss, dass muss gesagt werden. Todesmutig spielt er mit der Lyra, auch die dissonanten Töne spielt er an. Seine ausgefallene untypischerweise Art und Weise, die scheinbar taktlos klingt und doch so ehrlich sich anfühlt.

Mein einsamer Dichterfreund aus dem Forum sucht nach dem Sinn des Lebens, er schreibt nicht ohne Grund. Vielleicht arbeitet er sein Leben biografisch auf, sucht nach Anerkennung und Bestätigung, möglicherweise plagt ihm auch nur die lange Weile. Sauerkraut und Kohlrouladen, Sangria am Ballermann, Helene Fischer aus der Tonkonserve, sind auch nicht das Ziel seiner Tagträume. Die Edathyschmuddelbildchen in der guten Stube könnten ihm möglicherweise sehr gefährlich werden. Bevor er aber im Mainstream ärmlich untergeht, schreibt er lieber doch sein nihilistisches Gedicht. Anderseits möchte er sich intellektuell abgrenzen, doch einen revolutionären Punkerkamm zu tragen und Farbe zu bekennen, da fehlt ihm die nötige Courage.

Mein Freund, lass die Fahne der Gesinnung an deinem Fenster prangen und dein Bekenntnis mit dem Wetter spielen! Die Passanten machen sich ihr Bild nach ihrer Laune. Manche geben dir auch recht. Andere ballen ihre Fäuste in den Hosentaschen und gehen stumm an dir vorbei. Morgen wenn der Wind sich dreht, werden sie dich hängen, spucken dir in dein Gesicht, es ist das alte Spiel.

Kostbar sind deine Worte und deine Stimme ist dein Herz, welches in dir schlägt. Sperre dich nicht selber ein und sei befangen, schreibe alles furchtlos auf. Du legst den Stein und stößt ihn an, doch wenn er rollt, lässt er sich nicht mehr halten, dass ist dein Risiko! Nicht der Stil und nicht die Form allein sind das Maß der Dinge, warum sollen Punkt und Komma die Gedanken teilen?

Wer sagt es uns, wo fängt es an und wann hört es auf?

Lieber Jorsch,
ich resümiere mal ganz frech:

Absatz 1: Dieser Dichter ist ziemlich arm dran. Er bastelt Tag für Tag ein Gedicht fürs Internet, interessiert sich für die Theorie der Lyrik und ist ansonsten einsam, weil er Zuspruch nur virtuell erfährt. Er hat keinerlei Erfahrungen und schreibt über Dinge, die er nicht kennt. Er gaukelt sich und seinen Lesern Gefühle vor, ist also unehrlich.

Absatz 2: Dieser Dichter ist ein fröhlicher Geselle. Er schert sich nicht um Regeln oder Kritiken und schreibt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Er ist also ehrlich, hat den Gral der Dichtkunst gefunden.

Absatz 3: Dichter, die sich freudig bestehenden Regeln unterwerfen, haben keine Courage. Sie winseln nach Anerkennung und gehen am Ende ärmlich am Ballermann unter. Ihre Suche nach dem Sinn des Lebens endet in flachbrüstigen Reimen und erzwungener Metrik, in dümmlichen, farblosen Bekenntnissen.

Absatz 4: Es ist fraglich, wer sich irgendwann die Spucke von der Backe wischen muss – ein altes Spiel.

Absatz 5: Kein Dichter, dem unsere Sprache wichtig ist, wird auf Dauer um Regeln herum kommen – selbst die „freie“ Lyrik unterliegt gewissen Grundsätzen; Stil und Form sind sehr wohl ein Maß. Warum gibt’s so viele verschiedene Formen, Stile und Regeln? Damit wir sie ignorieren? Ganz sicher nicht. Wer sich darüber hinwegsetzen möchte, muss die Regeln KENNEN und sein WISSEN darum einsetzen. Nur dann kann ein in sich geschlossenes Werk entstehen, das über jede Kritik erhaben ist.

Absatz 6: Den solltest du besser streichen. Er klingt (für mich!!!) wie eine Kriegserklärung – das muss nicht sein.

Diese Kurzgeschichte ist so unnötig wie ein Kropf. Sie ist polemisch, gehässig und bringt nicht weiter. Anstatt Lösungen anzubieten, die über die leider verhärteten Fronten hinweg helfen, gießt du Öl ins Feuer.

Ich bin enttäuscht, weil ich von dir etwas mehr Einfühlungsvermögen erwartet hätte.
Erstaunlich und bemerkenswert ist, dass Dichter der reimenden und regelkonformen Fraktion sehr viel umgänglicher, humorvoller, bemühter und verständnisvoller mit Gedichten der jede Regel brechenden Autoren umgehen als umgekehrt.

Liebe Grüße,
Heliane.

Liebe Medusa,

ich danke Dir für Deine Interpretation! Interpretationen sind immer subjektiv, aus der Summe kann ich mir
meine Rückschlüsse ziehen. Erhofft habe ich mir einen Satz zur Form eines Essays. Somit hatten wir Beide
eine Erwartung, die sich nicht erfüllte.

Zitat

---

Ich bin enttäuscht, weil ich von dir etwas mehr Einfühlungsvermögen erwartet hätte.

---

Erwartung und Enttäuschung
sind wie Hund und Katz
es ist ein bitterböses Spiel

Wenn du nichts erhoffst
so bist du nicht enttäuscht
und setzt nur einen Punkt (.)

Zitat

---

Wer sich darüber hinwegsetzen möchte, muss die Regeln KENNEN und sein WISSEN darum einsetzen.

---

Mir sind Regeln schnuppe und komme trotzdem gut durchs Leben. Das ist genau so eine Lebensüge wie die Floskel:
"Wer fleißig lernt, aus dem wird auch mal was." Ich war immer stinkend faul und habe trotzdem mein Auskommen mit
meinem Einkommen.

Zitat

---

Nur dann kann ein in sich geschlossenes Werk entstehen, das über jede Kritik erhaben ist.

---

Ein in sich geschlossenen Werk, über jede Kritik erhaben? Leben wir in völlig anderen Welten?

Liebe Medusa, ein Essay ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine subjektive Angelegenheit, ich schreibe
was ich will und pfeif mir ein Lied!

LG Jorsch

Ein Raunen und Geflüster
die Scham steht mir so rot
von meiner Stirn herab zum Kropfe

Die Pferde gingen mit mir durch
ich bin ein alter Esel und ein Narr
und wäre doch ein freier Vogel

Der Galgenvogel hängt am Ast
die Geier müssen ärmlich hungern
der Aufgehängte wird begraben
bei den toten Dichtern

Lieber Thomas,

wie unterschiedlich Meinungen sein können. Inhaltlich will ich nichts mehr anfügen, mein Essay werde
ich bestimmt überarbeiten und weiterentwickeln. Absatz 3 ist sehr insuffizient. Im ganzen Text fehlen
notwendige Umschreibungen.

Wie Du ja weißt, bin ich ein großer Verehrer von Eva Strittmatter, sie schrieb ja auch im Reim.
Warum denn nicht? Aber es muss ein Dialog entstehen zwischen dem Dichter und dem Leser!
Als Kritikerin setzte sie den Inhalt und die Aussage, weit über Form und Stil. Selbst Brecht kam nicht
ungestraft davon.

Lg Jorsch

Lieber Thomas,

zuerst möchte ich Dir 2 Bilder aus meinem "Musengarten" schicken. Ich hoffe, dass
ich die Sache richtig verknüpft habe, wenn nicht gerne sende ich Dir eine Mail:





In meinen Garten wachsen jedes Jahr tausende wilde Primeln,
ich habe bereits über 15 verschiedene Farben zählen können.
Ebenso sehe ich es mit der Dichterei, bunte Vielfalt und doch sind
sie alle Primeln.

Beim Joggen kann ich gut nachdenken und habe mir so einige
konstruktive Ideen in den Kopf gesetzt:

Braucht ein modernes Forum eine Rubrik "Freie Lyrik"?
Wenn ich ein Liebesgedicht schreibe, dann ist es ein Liebesgedicht.
Ein Gedicht der Trauer ist ein Trauergedicht, Ein experimentelles
Gedicht ein ...
Die Leser werden sagen, ach da steht ein Liebesgedicht, schön in
freier ungereimter Form und gleich dahinter eines in Reim und Maß,
ich mag es auch sehr gern! Der alte Zopf der Bipolarität, bekommt
seinen Abgesang ins Museumsarchiv, natürlich sollte man da noch
alles lange betrachten dürfen und seine Gedanken dazu ausdrücken.

Ein höheres Ziel über die Forumsarbeit hinaus, ist für mich ein
Zugehen auf die Öffentlichkeit, es muss nicht kommerziell sein,
aber Märchen und Gedichte in Kindereinrichtungen, gemeinsam
organisiert und ausgeführt? Die Leute werden sagen, schaut her
da gibt es ein Forum, sie schreiben nicht nur für sich, sondern
sie gehen auch in die Welt, sie haben was zu sagen!

Mir fällt noch so manches ein ..., Einwas noch: 2016 ist in meiner
Stadt Pößneck wieder "Mitteldeutsche Buchmesse", ich lade die
Musengärtner gerne alle ein! Organisatorisches übernehme ich
sehr gern!

Ein schönes Wochenende wünscht der Jorsch!

Lieber Jorsch,

Zitat

---

Braucht ein modernes Forum eine Rubrik "Freie Lyrik"?

---

NEIN, es braucht sie nicht dringend. Aber es gibt Dichter, die darauf Wert legen, getrennt von der reimenden Fraktion und unabhängig von bestehenden Rubriken ihre Gedichte einstellen zu können.

Zitat

---

denn eine Änderung wäre ein ziemlicher Aufwand für die Admins

---

Nein, lieber Ralf, das wäre es nicht, das geht ratzfatz, muss aber nicht sein.

Ich sehe nicht ein, die Wünsche, selbst einer kleinen Gruppe, zu ignorieren. Ein interessierter Leser wird sich zurechtfinden und keinen Anstoß an der Trennung nehmen.

Über deine Ideen, lieber Jorsch, können wir uns gerne austauschen – vielleicht wird was ganz Großes draus ?
Herzliche Grüße,
Heliane.

Liebe Medusa und Thomas,

es sind meine Gedanken und mehr soll es nicht sein, ob eigene Rubrik oder nicht.
Als ich damals sagte: Der verpixelte Musengartentitel und der Fußballrasen nervt mich,
hat sich doch auch so manches und darüber hinauf vieles verändert.
Sogar eine Abstimmung über das Musenbild gab es, ich war auch dabei!
Du hast gesagt, ich soll nicht noch Öl ins Feuer gießen was die Fraktionen betrifft,
also suchte ich nach Ansätzen, ich erhebe nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit.

Wenn wir z.B. zur Buchmesse 2016 alle in meinem Garten Fleisch und Würste
grillen (natürlich erst am Abend), so wäre es doch auch eine Möglichkeit zum
Austausch? Ich würde die Einladung erst im Oktober hier ausschreiben.

Thomas, ich habe beruflich im Schleizer Oberland und um Plothen herum oft zu tun.
Zwei Enkel wohnen in Saalburg. Leider verblühen die Primeln in ca. 8 Tagen und dann
muss der Rasenmäher drüber aber dann:

rosige Flocken
in lauen Winden fallen
auf den Löwenzahn