Oderbrüche
Impressionen aus dem Märkischen Oderbruch - Gedichtsammlung


Letschin

Mittags schläfrig
weht ein linder Hauch
von Sommerblumen
durch das Dorf

Versteckte Tauben
in den Kronen gurren
heimlich still und leise
alles Treiben
auf dem Anger ein

Im Schatten einer Bank
krümelt eine alte Frau
trockene Schrippen
für die Spatzen
die sich lauthals streiten
und lässt sie heute
glücklich scheinen

Aus einer Bäckerstube
duftet es nach Milchkaffee
mandelsüßen Lerchen
und nach warmen Brot

Träge falle ich ins Nichts
fühle diesen Augenblick
der Ruhe den ich lange
nicht mehr spürte
fast steht die Stunde still

Lerchen: landläufige Bezeichnung für Makronentörtchen mit Marzipanfüllung
Schrippen: regionaler Name Weizenbrötchen


Zwischen den Dörfern

Apfelbaumalleen
ziehen schnurgerade
über grüne Zuckerrübenfelder

Ein Kuckuck ruft
von irgendwo

Es riecht der Sommer
nach verschwitztem Heu
es blüht der Weizen
rot und blau

Ich atme heute
meine Kindheit
fühle wie es einmal war

Doch es greift
sich nicht mehr an
darum bleibt es nur
Empfinden


Kinitzer Störche

Wenn doch landläufig
die Klapperstörche
immer seltener werden
und die Kinder auch

Warum zum Kuckuck
verstecken hier im Dorf
die Mütter ihre Kleinen

Auf meine Fragen
fand ich keine Antwort
nur ein zahnloses Lächeln
alter Weiber


Oderbrüche

Du
Land der weiten Felder
zwischen Strömen
unvergänglich in der Zeit
ein reifes Leben
fühlt sich dort

Immer wieder
reißen Fluten
alle Hoffnung fort
doch deine Menschen
schauen immer neu
in das Morgenrot
lassen sich versöhnen

Auch das alte Kranichpaar
ehelich gehorsam
bleibt dir treugesinnt
Jahr für Jahr
und die Biber
bauen wieder
mit geteilter Freude

Die gestrenge Odernixe
wird euch nicht zugrunde richten
reich beschenkt sie ihr geliebtes Volk
mit großer Herzensgüte

Nur die Spötter
führt sie auf
zum Tanz


So ein Theater

Ein Highlight soll es sein
eine Bühne für die Darsteller
vielleicht ein Kindheitstraum
es schmiegt sich nicht im Oderlauf
und die Störche scheißen drauf

Das "Theater am Rand" liegt im Dorf Zollbrücke. Die Betreiber sind der
Musiker Tobias Morgenstern und der Schauspieler Thomas Rühmann.


Soldatengräber

Steine auf dem Rasen
ein welker Blumenstrauß
geschoren ist das Gras
wie die kahlen Köpfe
der Sowjetsoldaten

Wer war M.A. ГAΠOHEHKO
wer erinnert sich an ihm
weint ein Kind um seinen Vater
eine Frau um ihren Mann
oder war es doch der Dank
für seinen Heldenmut
der uns von dem Bösen
einst befreite

M.A. ГAΠOHEHKO ein Gefallener, von 29 russischen Soldaten die 2013 in Reitwein eingebettet wurden


Weiden

Die Weiden haben
heute keine Zeit
zum Trauern
und auch
die Birken nicht

Ein leichter Wind
umstreichelt mein Gesicht

Es sind die milden Tage
die mich erwecken
und mich ins Leben führen


Die Kinder von Neuendorf

Es sind mehr
als sieben Gräber
eins versteckt sich
hinter einen Baum

Im Wind höre ich
ein Lachen
kindlich fein und
lässt mich staunend
danach lauschen
es klingt so rein

Wer schaut
und sehen kann
die Kinder sind
die Amseln
und die Spatzen
die mich grüßen
in den Linden
fröhlich singen

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in Groß Neuendorf eine jüdische Gemeinde gegründet.
Auf dem jüdischen Friedhof befinden sich 29 Grabsteine, darunter zahlreiche Kindergräber,
das Schicksal dieser Kinder ist heute nicht mehr nachvollziehbar.


Phalacrocorax carbo

Du nennst dich Kormoran
ein Wasserrabe
bist ein Schwarzer
ein Migrant mit Hintergründen
und ein Zugereister

Deiner Tradition verbunden
steht der Oderfisch
auf deinem Speiseplan
ein Veganer beileibe
bist du aber nicht

Du bist der Feind
der Fischersleute
eine Wasserratte
und der Sündenbock
für ihre schlechten Preise

Nur der alte Fritz
König war er hier
in der Tat ein Toleranter
ließe dich gewähren
in seinem reichen Land
so du ihm
ergeben dientest

Du armes Federvieh
stehst hier im Fadenkreuz
wie ein Asylbewerber
ein ungewollter Fremdling
und zum Abschuss frei


Ein Stein vom Weg

Ich ging noch einmal
zu den Kindern
legte einen Stein
zum Stein

Einmal klopfe ich noch an
bei den feinen Kindern
ich will euch auch nicht stören
überschwänglich
und auch fröhlich sein

Wenn ich einmal gehe
möchte ich auch hier
und bei euch sein
mein größer Wunsch
und zu unsrer Freude

© Jörg Kellermann 2014/43

Hallo Thomas,

das ist ja cool, hast Du Dich mit Anna Amalia abgesprochen, sie schrieb mir den gleichen Gedangen "Du Land" als PN!
Ich werde morgen frisch und munter es bedenken. Die Odernixe ist eine strenge doch gerechte Göttin der Oder das "nicht" passt schon,
doch das "verdirbt" ist veränderungswürdig. Eher passt "verrät", doch morgen besehe ich es bei Licht!

Danke Thomas, eine Gute Nacht wünscht Jorsch!

lieber Jörg
welch ein schönes Thema und Du hast es so frisch und frei umgesetzt.
Aber auch mir sind die gleichen Gedanken gekommen wie zuvor Anna und Thomas.
Aber Du machst das schon.

herzlich Ilona

Guten Morgen Ilona, Anna Amalia und Thomas,

wenn Ihr heimlich und konspirativ Euch abredet,
bin ich ja völlig wehrlos und kann nur noch ein DU
einfügen - so! Das habt Ihr Euch fein ausgeflüstert.


Lieber Thomas, dass mit dem "nicht" würde ich lieber lassen,
weil der Odernixe bestimmte Charaktereigenschaften zugeschrieben werden.
Doch die Stelle ist noch der Veränderung würdig!

Euch einen schönen Tag wünscht Jorsch!

(Ich habe doch die Odernixenstelle umgebaut)

wundeervoll so
herzlich Ilona

Liebe Musengärtner,

nach meiner Zeit im Märkischen Oderbruch, möchte ich nun wie bei den "Uferwegen" meine Gedichte zum Thema Oderbrüche hier einstellen!
Der Anfang ist gemacht, beginnen möchte ich mit 3 Gedichten, weitere folgen. Siehe oben Lg. Jorsch

lieber Jorsch
was sollte ich Deinen Gedichten entgegen setzen. Sie sind zu gewaltig für einen schlichten Kommentar.
Ich würde keine silbe ändern wollen.

herzlich Ilona

Danke liebe Ilona,

mir geht es ebenso bei Deinem Freiheit was kommt danach
ich kann mir nichts erdenken dazu was anzufügen.
Vor allem schreibst Du ohne Zeigefinger, was ich sehr an Dir schätze!

Lg. Jorsch

Liebe Musengärtner,

Heute habe ich zum Thema Oderbrüche zwei neue Gd. eingestellt!

Lieber Jorsch,

das gefällt mir sehr sehr gut!
Man taucht ein in die Lndschaft und die Dörfer, als würde man mitten drin sein!

Bei "Weiden" wÜrde ich Trauern groß schreiben: zum Trauern (das Trauern)

Liebe Grüße von Alkmene

Liebe Alkmene,

schön, dass Du wieder mal im Musengarten bist! Danke für die "Trauer"korrektur.
Ja, ich war auf Reisen und nun stelle ich eine Sammlung verschiedener Gd. zum
Thema Oderbruch hier ein. Einiges folgt noch in den nächsten Tagen... Wochen...

Lg Jorsch

Ihr Lieben, in Fortsetzung stelle ich heute 3 Gedichte ein! Lg. Jorsch

Lieber Jorsch,

Du hast sehr einfühlsam über die Verstorbenen geschrieben und insbesondere bei den kindergräbern die Verbindung zwischen Tod und Leben hergestellt. Es gibt sie noch in uns , die längst vergangenen..

Das fand ich berührend ..

Innehaltend und innig

Anna

Liebe Musengärtner, meine neuen Gd. zum Thema habe ich heute oben eingestellt, Lg. Jorsch

Lieber Jorsch

über deine anderen Gedichte wurde viel nachgedacht und gesagt (ich mag sie!), ich beschränke mich auf die beiden letzten:

Den „Kormoran“ sprichst du ab S2 persönlich an, was mir sehr gut gefällt. S1 bricht aus und irritiert mich beim Weiterlesen.
Ich habe dazu keine wirklich guten Ideen, aber vielleicht inspirieren sie dich?

Zitat

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Der Kormoran einfach nur Kormoran oder schwarzer Kormoran
ein Schwarzer Migrant du .......... Migrant ...... (wilder, armer, treuer .....)
ohne Hintergrund,
ein Zugereister

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Magst du dich vielleicht für einen anderen Titel erwärmen? Fisherman’s friends sind sauscharfe Bonbons, wie du weißt, passt nicht besonders .
Ich mag Kormorane, es ist sehr lustig, sie mit ausgebreiteten Schwingen herumsitzen zu sehen. Dein Gedicht wird ihnen gerecht und gefällt mir gut.

Zum zweiten Gedicht: Steine auf ein Grab zu legen, ist ein jüdischer Brauch und soll an die 40 Jahre in der Wüste erinnern, stimmts?
Dein Gedicht weist für mich auf die jüngsten Ereignisse hin.
Auch diese Vorschläge sind nicht das Gelbe vom Ei:

Zitat

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Wenn ich einmal vergehe
möchte ich auch hier ich hier, aufs „auch“ kannst du verzichten
und bei euch sein bei euch bleiben
meine Freude soll es sein unsere Freude ...

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Das wars schon, was mir einfällt .

Herzliche Grüße,
Heliane.

Liebe Medusa den"Kormuran" habe ich bereits überarbeitet -Danke für den Anstoß!

Es gibt verschiedene Auslegungen zum Steinelegen, mir gefällt die Erklärung mit dem Stein am
Grab zu klopfen und den Toten zu sagen, dass man hier ist, ist zwar nicht historisch,
doch passt es hier.

Den unteren Teil werde ich noch bearbeiten, ist zu trivial, ich bleibe dran!

Lg. Jorsch

Hallo Jorsch,

schön, dass du das Oderbruch bedichtest, ich habe es auch mehrmals getan, wohne aber nicht dort, kenne es nur von Tagesbesuchen. Aber ich liebe diese Gegend an der Oder, sie ist mir wirklich ans Herz gewachsen.
Mir gefällt, dass du ganz unprätentiös das flache Land siehst, in einfachen, fast kunstlosen Versen über es schreibst - so wie die Landschaft selbst ist. Auf dem sowjetischen Friedhof von Reithwein war ich auch schon einmal, ich fand ihn etwas verwildert gegenüber den deutschen Soldatengräbern nicht weit davon. Aber du hast deinen Eindruck beschrieben, ich finde es gut getroffen.

Priska

Liebe (r) Priska,

erst einmal Willkommen im Musengarten, ich habe Dir noch nicht geschrieben.
Ich freue mich auf Deine Beiträge und Kommentare.

Die Oderbrüche habe ich bereits aus meinem Archiv verbannt, nun bin ich
überrascht, dass Du sie aus der Mottenkiste rausgekramt hast.
Was bei mir im Oderbruch einen tiefen Eindruck hinterließ, dass die Menschen
dort ein riesiges Herz haben.

Danke und Lg. Jorsch